© Jens Eppinger



Die schweren Stiefel des großen Mannes bahnten sich geräuschvoll einen Weg durch das feuchte Ufergras des dunklen Ravens. Das monotone Schmatzen und Saugen seiner abgenutzten Sohlen auf dem schlüpfrigen Boden übertönte das laute Zirpen versteckter Grillen und Zikaden. Flüchtig fiel der Blick des Mannes auf die glänzende Oberfläche des breiten Flusses, die den matten silbernen Schein des Mondes reflektierte. Vollmond, in einer sternklaren Nacht.
Der Hüne blieb stehen und atmete tief durch. Jetzt, als ihm die Schönheit seiner Umgebung gewahr wurde, legte er seinen Kopf weit in den Nacken. Mit faszinierendem Blick überflogen seine braunen Augen das von Sternen übersäte Firmament. Ergreifend und von seiner Größe unbeschreiblich offenbarte sich ihm die endlose Weite des Universums. Tausende winzige Lichter funkelten majestätisch auf ihn herab und gaben ihm das Gefühl unbändiger Freiheit. Angestrengt suchten seine Augen nach den Konstellationen, die ihn schon so oft geleitet und beschützt hatten. Da war der Stampfende Oger, gleich neben dem Großen Wyrm. Zwei der wenigen Sternzeichen, nach denen sich Wanderer orientieren konnten.
Während sein Blick langsam über das Panorama glitt, spürte er plötzlich den warmen Atem seiner Begleiterin im Nacken.

„Suchst du schon wieder nach Golums Auge, Morwin?“

Der Mann lächelte amüsiert und wand sich seiner hübschen Gefährtin zu. Mit ihren feinen Gesichtszügen, ihrem lockigen Haar und dem leicht verzogenen Schmollmund kam sie ihm wie ein Engel vor. Wäre da nicht die zerknitterte Samtbluse, der kurze, verfilzte Lederrock und das von Schlamm verschmierter Paar Stiefel gewesen, hätte Morwin beinah Recht gehabt. Doch mit dem Rucksack auf ihren Schultern und dem schmalen Säbel an ihrer linken Hüfte, kam ihm die junge Frau sehr menschlich vor.

„Karima Kupferlocke, wann begreifst du endlich wie wichtig es ist, die Bedeutung der Sterne zu verstehen! Ohne ihre Hilfe wären wir hoffnungslos umhergeirrt.“

Der breitschulterige Mann kratzte nachdenklich seinen feinen Bart, der ihm über Lippen und Kinn gewachsen war. Die verkratzten Verzierungen seiner schmucklosen Lederrüstung glänzten matt im fahlen Mondlicht. Der große Rundschild, den er um seinen Rücken gebunden trug, glich einem aufgesetzten Schildkrötenpanzer.

„Zugegeben, ich bin weder Astrologe. Noch bin ich ein Sterndeuter. Aber mir haben die Sterne schon mehr als einmal die Haut gerettet.“

Mit einem gefälligen Grinsen beugte sich Morwin zu Karima hinunter. „Hab´ ich dir schon von meiner Begegnung mit den Krötenmolchen in dem Nebelsumpf erzählt? Damals, als..“

„Hast Du bereits! Mehrmals!“ Gelangweilt trat die junge Söldnerin an ihm vorbei. „Wenn du weiterhin nach oben glotzt werden wir Kareb nie erreichen. Ich habe Hunger und ein Bett würde mir auch gefallen.“ Mißmutig stapfte sie an ihm vorbei und trat eine fette Unke aus ihrem Weg, die quakend in Sicherheit sprang.

„Ja, ja. Unsere Soldatenbraut ist wieder schlechter Laune. Was kann ich dafür, daß der Marschall von Wallderk so schlecht zahlt. Ich dachte, fünf Dublonen pro Kopf waren ausgemacht.“ Mit gekränktem Stolz blickte er ihr nach.

„Sieben Dublonen, du Torfkopf“, hörte er sie fluchen. „Wärst du nur halb so viel ein Söldner, wie du versuchst ein Krieger zu sein, würdest du den Wert des Geldes verstehen.“

„Du brauchst mich nicht belehren, Mädchen! Sei froh, daß ich dir damals erlaubt habe mit mir zu ziehen.“ Wütend raffte er sich auf. Ein paar lange Sätze später, wobei der feuchte Dreck nach allen Seiten spritzte, hatte er sie eingeholt. Sein schwarzes, kurzes Haar war durch den langen Marsch von Schweiß durchnäßt.

„Golum sei Dank. Ohne diesen verfluchten Vollmond hätten wir keine zehn Schritt weit sehen können. Mein Vorrat an Fackeln ist seit Wallderk erheblich geschrumpft.“

Mürrisch bestimmte Karima nun das Tempo und fuhr mit ihrer Zunge über die vollen Lippen. Morwin trottete stumm neben ihr her. Momente wie diese konnte er nur schwer verkraften. Morwin Moosfeuer, ein gelernter Krieger und berüchtigter Falschspieler, hatte in ihr seinen Meister gefunden. Nicht das ihm die freischaffende Söldnerin in ihrer Kondition weit überlegen war. Auch nicht die Tatsache, daß sie mit Hammerhai, ihrem gekrümmten Piratensäbel, dessen Griff ein vergoldeter Hammerhai bildete, weitaus besser fechten konnte als er. Weder die Kunst ihn bei jedem Kartenspiel zu schlagen und ihm seinen hart verdienten Sold abzunehmen. Die Frechheit ihn zu kommandieren, ihn lächerlich zu machen, ihm seinen Stolz zu nehmen, war nichts im Vergleich zu der bitteren Wahrheit, daß sie in ihm keinen Partner sah. Weder im Kampf, noch im Bett. Seit ihrer Zusammenkunft vor zwei Jahren in der Hafenstadt Kallgar kämpften und schliefen sie stets getrennt. Von ihren Feinden als gefährliches Duo respektiert, in den verkommensten Spelunken als Liebespaar abgetan, hatten sie beide, außer der Lust am Kampf, nichts gemeinsam. Karima hatte sich nie mit ihren Reizen zurückgehalten. Oft war Morwin versucht gewesen, sie zu begehren. Sie zu besitzen. Auch wenn es nur für eine Nacht gewesen wäre. Doch stets hatte die gewandte Söldnerin ihn auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt und das meist sehr schmerzhaft.

Kurz nach Mitternacht hatte das ungleiche Paar Kareb erreicht. Das kleine, abgelegene Fischerdorf im Norden von Nyrmillia war für die meisten Reisenden die letzte Möglichkeit in sicheren vier Wänden zu nächtigen. Das nördliche Kallgar, das im Westen liegende Wallderk und die Stadt Baibrack im Süden waren mehrere Tagesmärsche entfernt. Kareb schien daher wie geschaffen für Händler und Abenteurer zu sein, die von den freundlichen Dorfbewohnern mit offenen Armen empfangen wurden. Die letzten drei Meilen hatten Morwin und Karima kein Wort gewechselt.

Die burschikose Söldnerin hatte damit begonnen ein uraltes zwergisches Schlachtlied zu summen, daß König Brondel Glims Eliteeinheit bei der Verteidigung ihrer Heimatstadt Mispell-Brun gegen die brandschatzende Orkenhorde gebrüllt hatte. Seit dieser für die Orks vernichtendsten Schlacht auf Nyrmillia, hatte niemand mehr den Wortlaut dieser mächtigen Hymne vernommen. Nur die Melodie war vielen in ihren Köpfen geblieben. Als Erinnerung an die Erlösung der orkischen Knechtschaft.

Die einladenden Lichter des nächtlichen Fischerdorfs besserten Morwins Laune. Ein prasselndes Feuer, ein Krug schäumendes Ale und ein weiches Bett vor Augen steuerte er auf das größte Gebäude der kleinen Siedlung zu. Morwin war Die Trübe Mondsichel nicht unbekannt. Nun, als seine Augen das rostige Schild am Eingang der Taverne erblickten, das knarrend im seichten Wind hin und her wankte, dankte er dem Göttervater im Stillen für seine Güte.

Karima schenkte der in silberner Farbe aufgemalten Mondsichel keine Beachtung. Ohne weiteren Kommentar war sie an Morwin vorbei, in der Taverne verschwunden.

„Hoffentlich haben sie noch ein Doppelzimmer“, dachte Morwin besorgt und sah sich neugierig auf der menschenleeren Straße um. Bei ihrem letzten Besuch in Kareb hatte der prahlerische Krieger Karima den Vorzug gelassen. Trotz mehrerer Versuche den Wirt Fadonas zu bestechen, hatte Morwin das überfüllte Wirtshaus verlassen und auf der Straße nächtigen müssen. Ihm schauderte der Gedanke daran, den feuchten Nebel wieder in seinen Knochen zu spüren. Diesmal würde sie draußen schlafen.

...

© Jens Eppinger


Hintergrund Verraten und Verkauft ist Jens' erste Kurzgeschichte. Eigentlich wollte er nie Kurzgeschichten schreiben. Seit über fünf Jahren arbeitet er an dem Roman "Tränen des Schicksals", aus dem sein Meisterwerk Amberlonia im nachhinein entstanden ist. Der Roman (über 200 DinA4) ist mittlerweile per Hand fertig geschrieben, wird aber immer noch überarbeitet und per PC abgetippt. Die von ihmveröffentlichten Kurzgeschichten spielen entweder in der Zeit vor diesem Roman oder sind parallel zu lesen. So auch dieser Auszug aus seiner ersten Kurzgeschichte. Die komplette Version von 'Verraten und Verkauft findet sich auf Jens Site Amberlonia.