(c) Marc Albrecht, 1993



Da ich zur Zeit nicht viel Beschäftigung habe, sondern auf die Wiedervereinigung der Gruppe warte, mit der ich versuche, einen Teil der mich belastenden Fragen zu beantworten, setzte ich mich kürzlich, während eines kuzrfristigen Aufenthaltes in Laranskoja, in ein gemietetes Zimmer und verfasste die folgenden Zeilen. Ich fühlte den Drang, das Wissen, das ich über meine Herkunft besitze, mit Tinte auf Papier festzuhalten, so daß vielleicht eines Tages jemand, dem dies wichtig sein könnte, jede Information fände, die ihm nötig scheint.

Ich verdanke es zwei einfachen Menschen, daß ich in der Lage bin, fließend lesen und schreiben zu können, deren Andenken mir immer wertvoll bleiben wird. Ich wollte, ich könnte behaupten, daß sie meine Eltern gewesen wären, doch weiß ich zumindest dies eine mit Sicherheit, daß sie es nicht waren, obgleich sie ihr bestes gaben, mir die besten Eltern zu sein, die ich mir wünschen könnte...

Ich war wohl nur wenige Tage alt, als mich ein Dwirl nach Lowangen brachte. Da seit vielen Jahren keiner der Fremden mehr in die Stadt gekommen war, wurde er sogleich von zahlreichen Städtern umringt, die natürlich wissen wollten, was es mit dem Menschenkind auf sich habe, daß er trug. Aber wie man weiß, geben die Dwirls nur Auskunft, wenn ihnen alles nötige Wissen zur Verfügung steht - was wohl in meinem Fall ganz sicher nicht gegeben war. Also mußte man sich damit begnügen, daß die übliche Versammlung einberufen wurde, damit der Dwirl seine Aufgaben verteilen konnte. Und schließlich ging es dann auch um mich...

Der Dwirl wußte, daß Rasa und seine Frau Rigene vor einigen Wochen ihren kleinen Sohn verloren hatten, als das Kind sich von einer Erkältung nicht mehr erholte. So schien es naheliegend, die Stadtältesten zu fragen, ob Rasa mich an Sohnes statt annehmen könne.

,,Das Kind wurde uns von Elfen überantwortet, die es nicht aufziehen können, da es menschlicher Herkunft ist. Da es nicht weit von hier gefunden wurde, wäre es uns angenehm, wenn diese Stadt sein neues Heim würde...`` erklärte der Dwirl. Damit war für ihn die Sache natürlich erledigt, nur die Ältesten mußten entscheiden, ob tatsächlich der reiche Krämer Rasa einen Sohn bekommen sollte oder nicht vielleicht eher der Bürgermeister, dessen Frau ihm bislang erst vier Töchter, aber keinen männlichen Nachkommen geboren hatte.

Schließendlich gab aber Rasas Wohlstand und Rigenes traurige Miene, als sie an ihr totes Kind erinnert wurde, den Ausschlag. Ich wurde weitergereicht und muß mich, glaube ich allen Erzählungen, bei Rigene sofort wohl gefühlt haben, fiel ich doch in ihrem Arm sofort in wohligen Schlaf...

Ich kann all dies natürlich nur aus dritter Hand erzählen. Leider war es auch bislang das letzte Mal, daß ich einem der Weisen begegnet bin, so daß ich mich nicht nach den näheren Umständen meiner Herkunft erkundigen konnte. Ich weiß bis heute nicht einmal, welche Elfen mich denn hätten finden können, ist doch die Gegend um Lowangen seit über einhundert Jahren von allen größeren Völkern verlassen, weil die Menschen mit ihren Steinbauten das Gesicht der Welt geschändet haben.

Stimmen die kargen Angaben, die der Dwirl Rasa im Vertrauen machte, und die ich eines Tages von meinem Ziehvater erfuhr, so muss ich im Monat Rondra geboren sein. Aus einer Laune heraus hat Rigene mein Geburtsdatum auf den dreizehnten dieses Monats bestimmt, weil an diesem Tag Aaren geboren wurde, dessen Stelle ich einnehmen sollte. Aaren war Rigenes einziges Kind, eine Kindbettkrankheit verhinderte, daß ich jemals Geschwister haben würde...

Ich erhielt, nach dem Brauch ihrer Familie, ihren Namen in seiner männlichen Form: ,,Rigan``. Rasa war allerdings der Ansicht, daß ich zwar durch das Gesetz in die Familie aufgenommen - und somit als vollwertiger Erbe seiner und Rigenes Besitzes anzusehen sei, er aber in Bezug auf den ,,reinen`` Namen Bedenken habe und ich daher ,,Ke-Rigan`` heißen sollte. ,,Ke`` stammt aus einer der frühen Hochsprachen und heißt soviel wie ,,Nicht-Wirklich``. Ich könnte, seit ich von der Bedeutung meines Namens weiß, beleidigt über die Zurückweisung sein...

Über meine frühe Kindheit kann ich nicht viel berichten, als nur dies: die ältesten Erinnerungen, die ich besitze, zeigen mich, meinem Ziehvater auf dem Schoße sitzend, vor der offenen Feuerstelle in einem für meine kindlichen Augen gigantischen Buch blätternd. Ich weiß heute, daß jenes Buch eines der wenigen erhaltenen Exemplare des ,,Buches vom einen Herrn`` war, das Rasa als Gegenleistung für meine Erziehung vom Dwirl überreicht bekommen hatte. Eine andere Erinnerung gilt dem Traum, den ich auch heute als Erwachsener noch hin und wieder erlebe, von einem jungen Mann, der durch dichte Nebelschwaden hindurch auf mich zukommt, einen Kopfgrossen Gegenstand in beiden Händen tragend, als wäre dieser sehr schwer - vielleicht eine Kiste. Bevor ich irgendetwas genauer hätte erkennen können, ziehen weiße Dunststreifen vor das Bild und ich erwache jedesmal mit klopfendem Herzen. Als Kind fürchtete ich mich vor dem Mann in meinem Traum, doch mit den Jahren merkte ich, daß mir da nichts Böses drohte, daß diese Person mir vielmehr etwas bedeutete. (Rigene fragte mich, das weiß ich noch, als wäre es gestern, inmitten einer Nacht lange Zeit über den Traum aus und brachte in Erfahrung, daß ich glaubte, den Mann zu kennen. Ich weiß heute, daß es seine Bewegungen sind, die Art, den schweren Gegenstand zu tragen und zielstrebig auf mich zuzukommen, die mich an Rasa, meinen Ziehvater derart deutlich erinnern, daß ich schon daran dachte, es könne sich um meinen Halbbruder Aaren handeln...)

Ich wuchs heran und hatte das große Glück durch den Reichtum Rasas die Adelsschule in Lowangen besuchen zu können, wo man mir Lesen, Schreiben, Rechnen und in Ansätzen die wichtigsten Sprachen unserer Welt beibrachte. Rasa war der Ansicht, und da stimme ich ihm heute im Gedenken zu, ich würde, als Sohn des reichsten Krämers in Lowangen, solche Fertigkeiten dringend brauchen... sollte ich doch selbstverständlich seinen Laden und vielleicht sogar die Karawanerei seines älteren Bruders übernehmen, der mich schon als Kleinkind in sein Herz geschlossen hatte: Onkel Herb, der dicke, gemütliche und immer lustige Chef der weltberühmten Karawane ,,Spex' Freude``, wie er nicht müde wurde zu bekräftigen.

Onkel Herb war es, der mir gewisse ,,Unehrlichkeiten`` im Vertragswesen beibrachte, die Rasa nie geduldet hätte, wenn er je davon gewußt hätte. Mein Ziehvater merkte nur eines Tages, als ich ihm einen Vertrag mit einem Händler aus dem hohen Norden ,,verbesserte``, daß ich wohl durchaus das Zeug zum Kaufmann hatte... ich sollte bald, da ich schon vierzehn Jahre alt war, eine kleinere Handelsreise unternehmen und versuchen, dabei einen gewissen Gewinn zu erzielen. Dieses Spiel war bei uns Kaufmannsleuten beliebt: konnte ein heranwachsender Händler einen höheren Gewinn bei einer Aktion erzielen, als sein Leumund vorher schätzte, stand ihm mit sofortiger Wirkung ein meist durchaus wertvoller Besitz zu... In meinem Fall war dies ein älteres Pony, das ich bei einem Schulausflug auf einem Hof am Stadtrand entdeckt hatte und das bald hätte geschlachtet werden sollen. Rasa machte mit dem Besitzer aus, er käme für die Verpflegung des Pferdes auf, bis ich von meiner Reise zurück sei und würde, bei meinem Erfolg, auch noch einen kleinen Betrag drauflegen, um das Tier zu erwerben.

Für mich ging es dabei weniger um das Tier, ich gestehe es offen ein. Ich hatte vielmehr ein Mädchen im Kopf, dem ich wußte, mit einem eigenen Reittier sehr imponieren zu können.

Onkel Herb habe ich nie etwas vormachen können, als er von der Geschichte hörte, nahm er mich abends zur Seite und horchte mich aus. Als ich ihm den tieferen Sinn meines Wunsches gestanden hatte, feixte er von einem Ohr zum anderen, buffte mich in die Seite und erklärte, er habe Rasa überredet, daß ich mit ihm, Herb, schon in der nächsten Woche mitreisen sollte. Ich kann mich noch gut des Kloßes in meinem Hals erinnern, hoffte ich doch, mit einem Schlag meine Gewinnchancen bei meinem Spiel mit Rasa verdoppelt zu haben - wenn Onkel Herb mir beistünde!

Nun, die ganze Geschichte ging nicht zu meinen Gunsten aus. Onkel Herb war auf der Reise wie ausgewechselt... aber nein, das stimmt nicht. Er war auf einmal ,,geschäftlich`` mit mir zusammen und es war von der Albernheit und dem Gemeinsamkeitsgefühl, das mich mit ihm verband, nur wenig zu spüren. Er verhielt sich Rasa gegenüber absolut ehrlich, indem er mich über den Tisch zog und bei den Verhandlungen über den Transport meiner erworbenen Güter (es ging dabei um edelmetallhaltige Steine, die ein Schiff aus dem Süden mit sich führte und zu horrenden Preisen verkaufte) bei weitem überhöhte Kosten veranschlagte. Beinahe hätte ich ihm den Tee vor die Füße gegossen und sämtliche Felsstücke einzeln zu Fuß nach Hause getragen... zum Glück hielt mich mein erwachender Stolz davon ab. Leider mußte ich aber so weit mehr ausgeben, als Rasa selbst als schlechtesten Gesamtpreis veranschlagt hatte.

Damit nicht genug, ich sollte die Lektion noch gründlicher lernen. Drei Tage nach unserer Ankunft in Lowangen gab es das übliche reichhaltige Mal bei meinem Onkel Herb. Ich ahnte schon vorher, daß an diesem Abend meine Niederlage besiegelt werden würde, aber mit diesem Schritt meines Ziehvaters hätte ich nie gerechnet.

Es gab exotisches Gemüse, Salate, Kartoffeln und ... Pferdefleisch

Müßig anzufügen, daß das von mir begehrte Mädchen in den zwei Wochen, die ich fort war, sich mit dem Sohn eines Söldners eingelassen hatte und ich einige blaue Flecken davon trug, als ich dies in Erfahrung brachte. Allerdings machte mir das erstaunlicherweise weniger aus als der Tod des Ponies, dessen ich mich schuldig fühlte.

Ich lernte zu unterscheiden zwischen meinem künftigen Beruf, dem Handel, dem Versuch, anderen mehr aus der Tasche zu ziehen, als sie selber darin vermuteten, und meinem privaten Leben, das sich lange Zeit in recht eigentümlichen Gassen von Lowangen abspielte. Onkel Herb hatte immer angedeutet, daß gerade die Gestalten, die das offene Licht scheuten, vieles über bestimmte Formen von Verträgen wußten, das weder Rasa noch sonst ein ehrlicher Mann gut heißen konnte - das aber ebenso demjenigen von großem Nutzen war, der das Wissen anzuwenden vermochte. Dazu zählten unter anderem Bekanntschaften mit Personen wie Rog, dem Schmied.

Rog, der Zwerg. Rog, der Barbar. Rog, von dem man nie wußte, für wen er gerade arbeitete und wer auf seiner Gehaltsliste stand. Rog machte Waffen - aber mit einer verblüffenden Qualitätspalette. Diese reichte von ,,guten Waffen``, solchen, die durch eine spezielle Stahlhärtung beim ersten Schlag zersprangen (diese waren gerade unter Dieben recht beliebt, die sie ihren Opfern unterschoben, um bei einem erwarteten Duell bessere Karten zu haben) bis hin zu ,,gefährlichen Waffen``, die Rog nur an jene ausgab, die er persönlich kannte. Und die den astronomischen Preis zahlen konnten, die irgendein ominöser Druide für die Verhexung der Waffe verlangte...

Ich erzähle hier von Rog, weil er einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, daß ich heute bin, was ich bin... Ich darf mich nämlich seiner versicherten Freundschaft erfreuen, die ich durch ein lebensgefährliches Spiel mit einem Orc gewann... aber das ist eine andere Geschichte und führte hier zu weit. Jedenfalls verschaffte mir Rog außergeöhnlich gute Waffen, die ich ,,unter der Hand`` begann, höchst gewinnbringend zu verkaufen. Ich war kaum zwanzig Jahre alt, da vertraute mir Rasa eine größere Beschaffungsreise an, ich sollte ein seltenes Holz weit aus dem Landesinneren besorgen, daß nur zu einer bestimmten Jahreszeit schlagreif war. Zufällig ergab es sich, daß Rog eine kleine Lieferung spezieller Dolche an ein Söldnerlager verkaufen wollte, das zur gleichen Zeit nur einen Tagesritt von meinem Zielort aufgeschlagen sein würde. Ich nahm also diesen nicht ganz sauberen Auftrag ebenfalls an und war mir einer lohnenden Reise sicher.

Leider hatte ich mir meine Begleitung nicht sorgfältig genug ausgewählt. Drei der Männer, die als bewaffneter Geleitschutz mit meiner kleinen Karawane mitziehen sollten, machten sich drei Tage vom Ziel entfernt mitsamt den Pferden, den Dukaten für das Holz und meinen Empfehlungsschreiben, die ich beim Geld verstaut hatte, aus dem Staub. Ich konnte mich glücklich schätzen, daß ich die Dolche in meiner Satteltasche trug, auf der ich nachts immer schlief... kurz, es gelang mir, die Söldner nach einer Woche Fußreise, die mich durch weltferne Dörfer und über kaum erkennbare ,,Wege`` führte, gerade noch anzutreffen, bevor sie sich zur Südwestküste auf den Weg machen konnten. Ich hatte einige Schwierigkeiten, ihnen glaubhaft zu versichern, daß ich von Rog käme. Sie glaubten mir erst, als ich ihnen die besondere Qualität der Dolche an einem Feuerstein demonstrierte, den ich einkerbte, ohne dem benutzten Dolch eine Scharte zu verpassen.

Aufgrund meiner Jugend und da sie Rogs Preise nicht kannten, konnte ich ihnen tatsächlich einen etwas höheren Betrag abschwatzen, als Rog verlangt hatte. Sicher trugen allerdings auch die zwei Wanedo-Krieger zu der Überlegung bei, mit mir zu handeln und nicht mir den Kopf abzuschlagen. Die beiden Wanedos hatten sich bereit erklärt, mir beim Auffinden der Söldner zu helfen, wenn ich sie im Gegenzug mit nach Lowangen zurücknähme und mit Rog bekannt machte... was mir natürlich in Anbetracht meiner Lage sehr recht war.

Ich stand vor der Wahl, das Holz für Rasa zu besorgen, was mir möglich war, da Rogs Auftrag bei weitem mehr Geld einbrachte, als ich für einen halben Wald hätte bezahlen müssen, oder nach Hause zu gehen, Rog seine Dukaten zu geben und meinem Ziehvater gestehen zu müssen, wieder einmal nicht aufgepasst zu haben. Es fiel mir schwer, aber ich entschied mich, Rogs Geld zum Teil für das Holz zu verwenden - aus irgendeinem Grund war es mir wichtiger, vor Rasa als zuverlässig dazustehen, als Rog die Geschichte zu erklären. Daß er mir glauben würde bezweifelte ich nicht einen Moment lang...

Es ergab sich, daß ich schließendlich bei den Holzfällern ein offenes Ohr fand... sie kannten Rasa seit vielen Jahren und erklärten sich bereit, meinen Familienring als Unterpfand zu behalten. Als Gegenleistung gaben sie mir das gewünschte Holz und Pferde, um es zu transportieren. Hätten nicht Rasa und Onkel Herb übereinstimmend von der Zuverlässigkeit der Männer gesprochen, ich hätte mich gewiß nie von meinem goldenen Familienring getrennt. So aber hoffte ich, ihn bald wieder auslösen zu können - die Holzfäller hatten ja keine Verwendung dafür und wollten damit nur erreichen, daß ich mich eben bald wieder zu ihnen auf den Weg machte. Damit war ich fürs erste gut aus dem Schneider - ich hatte noch immer Rogs Dukaten und ich hatte das Holz. Irgendwie würde ich Rasa schon etwas erzählen können - oder Rog oder einer seiner zahlreichen ,,Bekannten`` würde sich etwas einfallen lassen, wie ich meinen Ring auslösen könnte.

Es kam leider alles anders, als ich mir vorstellen konnte.

Unweit von Lowangen kam mir Onkel Herb entgegen. Er hatte sich Sorgen gemacht und, als Rigene ihn ebenfalls bedrängte, nach mir zu sehen, sich ein schnelles Pferd aus dem Stall genommen, und war mir mit drei Packpferden nachgeritten. Da der einfachste Weg durch ein langgezogenes Tal führte, an dem sich alle Reisenden an den schmalen Bach an der Sohle hielten, konnten wir uns gar nicht verpassen.

Onkel Herb war über die beiden Wanedo-Krieger sehr erstaunt und quetschte mich gleich an Ort und Stelle aus. Da ich mit dieser Situation überhaupt nicht gerechnet hatte, fiel mir nicht auf Anhieb eine passende Geschichte ein und ich erzähle ihm unter dem Versprechen, es für sich zu behalten, was mir passiert war.

Bevor ich ganz enden konnte, unterbrach er mich.

,,Kerigan, warte. Erzähl mir das heute abend, lass uns rasch nach Lowangen reiten. Ich glaube, Deine Eltern haben Besuch von einem Dwirl!``

Ich vergaß auf der Stelle meine verfahrene Situation und machte den Kriegern klar, daß ich sie sobald wie möglich in einer bekannten Taverne aufsuchen würde, um sie zu Rog zu bringen (natürlich nachdem ich ihn informiert hatte und er sich einen Treffpunkt ausgewählt hätte... aber das verstand sich ja von selbst...). Dann galopierten Onkel Herb und ich nach Hause.

Rigene mußte unser Kommen geahnt haben, sie stürzte uns nämlich entgegen, kaum, daß wir unseren Hof betreten hatten. Tränen liefen ihr über die Wangen, sie schluchzte und klammerte sich an Onkel Herb, der völlig verdutzt die Arme um sie legte und mich verständnislos anblickte. Schließlich brachte meine Ziehmutter einige verständliche Worte hervor.

,,Rasa... sie haben ... ihn umgebracht...``

Ich vernahm die Worte und weiß noch, daß ich mich automatisch in Bewegung gesetzt haben mußte. Eine harte Hand packte mich am Schlawitchen und hielt mich vom Betreten des Hauses ab.

,,Bleib hier bei Deiner Mutter`` befahl Onkel Herb mir. ,,Ich sehe mal nach``, setzte er ruhiger hinzu und stapfte auf das Haus zu.

Ich zwang Rigene, sich mit mir auf eine der Festbaenke im Hof zu setzen. Es dauerte scheinbar endlos lange, bis mein Onkel wieder erschien. Sein sonst immer fröhlich rosiges Gesicht war aschgrau und er mußte sich ebenfalls zu uns setzen, bevor er mir mit leiser Stimme berichten konnte.

Im Haus waren bereist Offiziere der Stadtwache, die den Tatort absuchten und versuchten, wieder etwas Ordnung zu schaffen. Sie hatten Onkel Herb erzählt, was sie wußten.

Tatsächlich hatte ein Dwirl an die Hintertür geklopft, kurz nachdem Onkel Herb losgezogen war. Der Weise hatte sich einige Zeit mit Rasa unterhalten und war dann mit einem kurzen Gruß an Rigene weitergezogen. Rase erklärte seiner Frau, er müsse erst eine Weile mit sich alleine sein, ehe er ihr die Neuigkeiten weitergeben konnte. Er stieg auf den Speicher, um einige Vorräte zu überprüfen, als Rigene jemanden die Holzstiege hochklettern hörte. Sie dachte zuerst, ich sei endlich nach Hause gekommen und lief zur Treppe. Aber alles, was sie noch sehen konnte, war die zufallende Falltür des Speichers. Kurz darauf hörte sie dumpfe Geräusche von oben und wollte hinauflaufen, als die Tür aufgeschlagen wurde, Rasa hindurchfiel und die Treppe Hals über Kopf hinabpolterte. Rigene wich dem fallenden Körper mit einem Schreckensschrei aus, da kam auch schon jemand hinterhergesprungen, stieß sie zur Seite und war aus der Hintertür hinaus.

Meine Ziehmutter meinte, es sei ein hagerer, großer Mann gewesen, der einen Umhang mit Kapuze wie ein Dwirl getragen hatte, aber aufgrund seiner Größe und seiner Bewegungen eindeutig keiner der Fremden war. Sie hatte aber wegen der Kapuze auch nicht erkennen können, ob es jemand aus der Stadt - oder ob es überhaupt ein Mensch war.

Ich nahm natürlich an, daß ich nun zu Hause bleiben würde, um die Geschäfte fortzuführen. Aber mein Onkel machte mir deutlich, daß ich eine Schuld zu bezahlen hätte und er mir eigenhändig ein Bein ausreißen würde, wenn ich mich nicht so bald wie möglich wieder zu den Holzfällern machte. Ich wollte zwar die zerbrochene Rigene nicht alleine lassen, als sie aber hörte, daß ich ,,eine Schuld`` zu begleichen hätte, stimmte sie ohne zu zögern mit Onkel Herb überein.

Ich erledigte also die Sache mit Rog - später zeigte sich, daß er mit den Wanedo ein gutes Geschäft machen konnte - und bat die beiden Krieger, mich nochmals auf die lange Reise zu begleiten. Ich war von den Ereignissen verständlicherweise so geschockt, daß ich ihnen als Bezahlung dummerweise den gesamten erzielten Überschuß meines Dolch-Handels anbot. Es war mir aber einfach egal, was mit dem Geld geschah, ich war wie von Sinnen.

Der Rest ist schnell erzählt. Rigene erholte sich von dem Schock nie mehr richtig. Onkel Herb wohnte fast ständig bei uns und half mir bei der Pflege meiner ... Mutter, bis sie eines Morgens nicht mehr aufwachen wollte. Er half mir auch danach, das Geschäft herunterzufahren und versprach mir, während meiner Abwesenheit die Krämerei neben seinen eigenen Geschäften zu betreuen. Ich wollte den Laden auch niemandem sonst überlassen, ich hätte ihn eher geschlossen. Aber Onkel Herb war der Ansicht, ein gut gehendes Geschäft dürfe keinesfalls geschlossen, lieber aus ,,familiären Gründen`` eingeschränkt werden.

Ich machte also einen guten Teil der Lagerbestände zu Geld, verkaufte einige Konzessionen und schloß mich einer größeren Überlandkarawane an, in der Hoffnung, eines Tages in den großen Handel einsteigen zu können - unabhängig von einer Stadt zu sein.

Ja, ich wollte der Stadt, in der die beiden Menschen begraben sind, die mir in meinem Leben das Wertvollste waren, den Rücken kehren. Und ich werde erst dann zurückkehren, wenn ich Onkel Herb fürstlich für seine Treue entlohnen und ihn zum Verwalter eines wichtigen Handelspostens machen kann.

Ich bin jetzt seit vier Jahren unterwegs, traf auf meinen Reisen die wunderbarsten Wesen und habe gewiß Dinge gelernt, die ich als Krämer in Lowangen nie geträumt hätte. In vielen größeren Hafenstädten habe ich Kontakte zu ehrbaren Händlern und Bekanntschaften mit manch dunklen Gestalten knüpfen können, auch wenn bislang kein gewinnversprechender Vertrag zustande gekommen ist. Ich hoffe, daß mir eines Tages die Gewogenheit des einen oder anderen Reeders oder Kaufmannes etwas bringt.

Auch im Landesinneren war ich, meist mit Karawanen, viel unterwegs... leider habe ich außer Rog keine weiteren Zwerge kennengelernt, ich kann also nicht bestätigen, daß mein Freund in Lowangen ein außergeöhnlich ehrlicher Vertreter seines Volkes wäre. Dafür lernte ich einige Elfen flüchtig kennen... wobei mir jedesmal die kleine Holzflöte nützlich war, die Rigene mir als kleinem Jungen geschenkt hatte, als ich sechs Wochen mit gebrochenem Arm nach einer bösen Prügelei im Haus bleiben mußte... Es ist erstaunlich, wie die kleinste Fähigkeit, ein Instrument zu spielen, einen Elfen zur größeren Zuneigung bewegt... dies lernt man auf keiner Handelsschule...

Natürlich haben mich auch weitere Rückschläge nicht verschont. Vor Kurzem geriet ich zwischen die Fronten in einem mir völlig unklar gebliebenen, seit offenbar ewigen Zeiten tobenden Krieg an der Westküste Aventuriens. Ich mußte fast alles, was ich an finanziellen Mitteln mit mir führte, für sicheres Geleit opfern, um überhaupt die Chance zu erhalten, diese Gegend wieder zu verlassen...

(c) Marc Albrecht, 1993


Hintergrund

'Kerigan's Geschichte' entstand als Hintergrundgeschichte für einen Rollenspielcharakter (DSA). Ausserdem fanden Elemente von Kerigan Eingang in zwei Rollenspiel-Projekte ("Quests"), die Marc geschrieben hat. Kerigan als Person taucht auch in den Büchern auf, an denen Marc zur Zeit arbeitet. Älter, reifer - und kapitalistischer. Hoffentlich wird von seinen Büchern bald etwas zu lesen sein (vielleicht sogar im Fantasy Forest ;o) ...).