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Die Weihe des kleinen Starryk schien zum Großereignis zu werden. Die Vorbereitung für das mit der Weihe verbundene Festmahl wurden, wie üblich, hauptsächlich von den Eltern geleistet. Es wartete also viel Arbeit auf Lamara und Thorryk, da das ganze Dorf anwesend sein würde, wie es damals Brauch war. Natürlich halfen einige Dorfbewohner, die mit den beiden befreundet waren, bei den Vorbereitungen für das Fest. Thorryk hatte als Vater traditionell die Aufgabe auf die Jagd zu gehen um einen Braten für das Mahl zu besorgen. Zusätzlich glaubten die Menschen in dieser Gegend, dass es dem Kind Glück bringt, wenn der Vater persönlich einen Hirsch für dieses Mahl erlegt. Daher nahm sich Thorryk vor einen großen Hirsch zu suchen und ihn zu töten, da er seinem Sohn unbedingt Glück wünschte und um den anderen zu zeigen, was für ein guter Jäger er war. Am Tage vor Starryks Weihe fand die große Jagd traditionell statt. Der kleine Starryk war ungefähr 6 Monate alt. Als sich sein Vater von ihm verabschiedete, formte Starryk mit den Lippen das Wort „Papa“. Doch Thorryk vernahm dieses erste Wort, sagte aber seiner Frau nichts davon. Er wollte sie bei der Weihe überraschen, denn da wollte er allen zeigen, dass sein Sohn schon sprechen konnte. So verließ er freudestrahlend das Haus. Als er vor die Tür trat, wurde er von der hell strahlenden Sonne geblendet. Er hielt seine Hand über seine Augen um sich ungestört von der hellen Sonne umsehen zu können. Der Himmel war wolkenlos und nach dem Stand der Sonne zu urteilen, die fast den höchsten Punkt ihrer Himmelsbahn erreicht hatte, musste es kurz vor Mittag sein. „Ich habe länger geschlafen, als ich wollte“, dachte Thorryk: „Die Chance einen Hirsch zu finden, ist durch diesen Fehler erheblich gesunken. Trotzdem muss ich es schaffen!“ Er schaute sich um. Im Dorf herrschte eine geschäftige Betriebsamkeit. Die Menschen verrichteten ihr Tagewerk, einige besserten die Palisadenzäune, die das Dorf umgaben, aus, da sie bei den letzten Kämpfen beschädigt worden waren. Gegenüber von Thorryks Haus wurde ein neues Haus gebaut. Dort sollte im nächsten Sommer ein frisch vermähltes Paar einziehen. Der Bau des Hauses wurde wie üblich von den Eltern des verlobten Paares bezahlt, da ein Paar, das gerade den Bund geschlossen hatte, für gewöhnlich den Hausbau nicht bezahlen konnte, da die Handwerker aus der nächstgelegenen Stadt kamen. Thorryk dachte an die Zeit zurück, als er und Lamara den Bund geschlossen hatten. Es war eine schöne Feier und der schönste Tag seines Lebens gewesen. Er dachte weiter zurück an den Tag, an dem er seine Lamara kennengelernt hatte. Er war damals 16 Jahre alt gewesen und das erste Mal ohne seine Eltern in die Stadt gegangen, als sie ihm über den Weg lief. Sie hatte ihm nach dem Weg gefragt und er sagte zu ihr, dass sie ihm einfach folgen solle. Unterwegs hatten sie sich lange unterhalten. Sie heiße Lamara, sei 17 Jahre alt und wohne in Lichtenbach. Das sei ein kleines Dorf im Regenbogental, das im nördlichen Gebirge liege, fügte sie schnell hinzu, um die Frage Thorryks vorwegzunehmen. Thorryk hatte wahrheitsgemäß erwidert, dass auch er im nördlichen Gebirge wohne und schon vom Regenbogental gehört hatte. „Es soll wunderschön sein, habe ich gehört. Hättest du etwas dagegen, wenn ich mit dir komme? Ich wollte mir dieses Tal schon immer mal ansehen“, hatte Thorryk gesagt, der Lamara auf Anhieb nett fand. Außerdem gefiel ihm, diese junge Frau, deren weibliche Formen voll ausgeprägt waren und deren Stimme so wunderbar zart und rein klang. Daher hatte er sie darum gebeten mit ihr nach Lichtenbach kommen zu dürfen. Trotz dieses Hintergrundes entsprach die Sache, dass er vom Regenbogental schon gehört habe der Wahrheit. Unbedingt sehen wollte er es erst, nachdem er Lamara getroffen hatte und wusste, dass sie dort wohnt. Lamara hatte bereitwillig zugestimmt, denn auch ihr gefiel dieser nette junge Mann, der sich wie der perfekte Gentleman benahm und im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen wusste, wie man eine Frau behandelt. Außerdem sah der junge Mann recht stattlich aus. So waren sie zusammen nach Lichtenbach gegangen und hatten sich auf dem Weg angeregt unterhalten. Dabei hatte Thorryk festgestellt, dass Lamara dieselben Ansichten vertrat, wie er. Sie schien wirklich perfekt zu ihm zu passen. Auch Lamara empfand dieses Gefühl und beide mochten sich mit jedem Schritt mehr. Als sie in Lichtenbach ankamen, hatten sich beide ineinander verliebt. Es war eine wunderschöne Zeit gewesen. Seit diesem Tage hatten sie sich oft getroffen und lange Wanderungen durch das Gebirge gemacht, bei denen sie das Leben in vollen Zügen genossen. Schließlich hatte er sie gefragt, ob sie bereit sei, das Bündnis mit ihm zu schließen. Sie hatte Ja gesagt. Kurz nach der Heirat brach dann der Krieg zwischen Ansala und Dalende aus. Thorryk ging fort, um sich zum Krieger ausbilden zu lassen, da er lernen wollte, wie man seine Familie verteidigen kann. Lamara wollte nicht, dass er geht, doch Thorryk war fest entschlossen. In der Nacht, bevor Thorryk wegging, schlief er mit Lamara und zeugte seinen Sohn. Als er schon 2 Monate in der Lehre war, erreichte ihn die Nachricht, dass Lamara schwanger sei. Er hatte sich gefreut, wie ein kleines Kind und beeilte sich seine Lehre zu vollenden. In Rekordzeit legte er die Prüfung ab und ging zurück zu seiner Familie, um seiner schwangeren Frau zu helfen. „THORRYK!“ Dieser Ruf holte ihn zurück in die Realität. Er schaute sich um, und versuchte heraus zu finden, wer ihn gerufen hatte. Es war Tolgar, einer seiner besten Freunde, der auf ihn zulief und rief: „Solltest du nicht schon längst auf der Jagd sein. Ich wollte dich holen. Die Anderen warten schon seit dem frühen Morgen auf dich!“ „Ja, das sollte ich eigentlich, aber ich habe sehr fest geschlafen, und bin gerade erst von den Sonnenstrahlen geweckt worden. Aber wir gehen jetzt los und besprechen die anderen Einzelheiten auf dem Weg. ! Hol, die anderen bitte!“, antwortete Thorryk. Tolgar lief los und kam kurz darauf mit 5 weiteren Jägern zurück. Unter ihnen war auch Goruk, der Sohn eines angesehenen Mannes, der zum ersten Mal an der Jagd teilnahm. Er war sehr nervös, da er sich bei dieser Gelegenheit vor seinem Vater beweisen wollte. Mit schnellen Schritten verließ die Jagdgemeinschaft das Dorf und eilte den Hang hinauf in den Wald. Es wurde merklich kühler, als sie den unter den Schutz des Blätterdachs gelangten. Der Boden war übersäht mit Blättern vom letzten Herbst, über ihnen schimmerten an den Bäumen die frischen grünen Blätter im Sonnenschein. Thorryk ging unbeirrt weiter und die anderen folgten ihm. Schon nach kurzer Zeit stießen sie auf Spuren eines Hirsches. Thorryk, der ein guter Fährtenleser war, stellte fest, dass diese Spur noch frisch war. „Folgt mir, aber vorsichtig“, flüsterte er seinen Kameraden zu und schlich vorsichtig der Spur nach. Die Anderen folgten ihm. Nach 10 Minuten kamen sie auf eine Lichtung. Das Blätterdach hatte hier eine Lücke, durch die ein Lichtstrahl auf den Boden fiel. An dieser Stelle stand ein prachtvoller Hirsch. „Seht, ein Hirsch. Ein gar prächtiges Tier. Worauf warten wir noch!“, sagte Goruk zu den Anderen und in diesem Moment hob der Hirsch den Kopf, spitzte die Ohren und stürmte davon. Thorryk war wirklich wütend auf Goruk. Er drehte sich zu ihm um und schrie ihn an: „Wegen dir war alles umsonst. Du hast den Hirsch verscheucht. Jedes Kind weiß, dass man auf der Jagd leise sein muss. Wie kommst du also dazu, hier herum zu schreien. Du bist doch echt dumm wie Stroh. Geh nach Hause zu Mami, sonst gibt es auf der Feier dank dir nichts zu essen. Verschwinde, bevor ich mich vergesse.“ Goruk erwiderte mit gesenktem Haupt: „Bitte, gebt mir noch eine Chance. Schickt mich nicht nach Hause. Ich werde ruhig sein, das verspreche ich euch. Bitte schickt mich nicht weg.“ Thorryk war zwar immer noch wütend und wollte Goruk nach Hause schicken, aber da er einen sehr ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit hatte, sagte er: „ Das kann ich nicht allein entscheiden. Wir werden abstimmen, ob du gehen musst, oder nicht.“ Anschließend wurde per Handzeichen abgestimmt. Es wurde mit Gegenstimme Thorryks entschieden, dass Goruk bleiben dürfe. Thorryk sagte zu Goruk: "Wir haben entschieden, dass du bleiben darfst. Ich bitte dich aber nochmals, leise zu sein.“ Das versprach Goruk und die Gruppe setzte die Jagd fort. Thorryk folgte der Spur des Hirsches so leise wie möglich. Der Tag war schon weit fortgeschritten und Thorryk ärgerte sich immer mehr darüber, dass er verschlafen hatte. Nun mussten sie sich beeilen, um noch vor Anbruch der Dunkelheit nach Hause zu kommen. Nach einer halben Stunde kamen sie erneut auf eine kleine Lichtung und Thorryk sah den Hirsch, dem er gefolgt war. Er ermahnte die anderen zur Ruhe, um das Tier nicht wieder zu verscheuchen und schlich sich an den Hirsch heran. Die anderen Männer schlichen am Rand der Lichtung entlang und suchten sich eine Deckung, aus der sie den Hirsch mit ihren Bögen erlegen konnten, falls Thorryk nicht traf. Goruk, der nach der ersten Panne zeigen wollte, dass er kein Idiot war, suchte sich ebenfalls ein dichtes Gestrüpp, hinter dem er sich versteckte. Als alle in Position gegangen waren, gaben sie Thorryk ein Zeichen. Dieser legte an und zielte auf den Hals des Hirsches. Er wusste, dass dies seine letzte Chance war heute einen Hirsch zu erlegen, daher war er hoch konzentriert und angespannt. Er spannte den Bogen, zielte nochmals genau. Er fühlte, wie aufgeregt er war. In diesem Moment musste er an Starryk denken, für den er diesen Hirsch erlegen wollte. Er lächelte, als er an den Kleinen dachte und seine Entschlossenheit kehrte zurück. Er ließ den Pfeil los und traf den Hals des Tieres, das sofort zusammenbrach. Thorryk sprang auf und riss die Arme hoch. In diesem Moment hörte er einen Schrei. Er dreht sich um und erschrak. Der Schrei kam von Goruk. Er lag auf dem Boden und ein großer Bär stand über ihm und hob seine Pranke. Eh Thorryk etwas tun konnte, schlug der Bär zu. Er traf Goruks Bein mit solcher Wucht, dass es brach. Goruk konnte sich nicht bewegen und schrie wie am Spieß. Das machte den Bären nur noch wütender. Thorryk hatte in der Zwischenzeit seinen Bogen angelegt, und als der Bär sich auf die Hinterbeine stellte, schoss Thorryk den Pfeil ab. Dieser Pfeil verwundete den Bären aber nicht tödlich. Er blieb im Bauch stecken. Die Schmerzen brachten den Bären zur Raserei. Thorryk, der sofort gesehen hatte, dass der Pfeil nicht tödlich war, zückte sein Messer und rannte auf den Bären zu. Dieser stellte sich auf die Hinterbeine, holte mit der Pranke aus; doch bevor er zuschlagen konnte, rammte ihm Thorryk das Messer in die Brust. Der Bär war tödlich verwundet, doch bevor Thorryk sich außer Reichweite der Pranken in Sicherheit bringen konnte, schlug der Bär ein letztes Mal zu. Er traf den Kopf Thorryks mit voller Wucht. Thorryk brach zusammen, und der Bär fiel auf ihn. Die anderen Männer waren während dieses Kampfes aus ihren Verstecken gekommen und zu Thorryk gerannt, um ihm beim Kampf gegen den Bären zu helfen. Sie waren zu weit von Goruk weg gewesen, um ihn zu retten, und als sie endlich ankamen, war es bereits zu spät. Der Bär führte gerade seinen letzten Schlag aus. Zwei Männer rannten zu Goruk, der hilflos und total verstört am Boden lag. Die drei anderen Männer, darunter auch Tolgar, Thorryks bester Freund, versuchten Thorryk zu befreien. Sie zogen den toten Bären von Thorryk herunter und befreiten ihn. Tolgar tastete vorsichtig seine Brust ab. Er spürte nichts. „Er ist tot“, sagte er leise, und Tränen traten in seine Augen. „Er ist als Held gestorben! Er hat sein Leben für Goruk geopfert. Ohne an sich zu denken, hat er sich mit dem Messer auf einen Bären gestürzt. Er ist ein Held, ein wahrer Held!“ Goruks Beine waren gebrochen, doch sonst war er unverletzt geblieben. Als er erfuhr, dass Thorryk tot war, machte er sich große Vorwürfe: „Es ist ganz allein meine Schuld, dass Thorryk tot ist. Ich bin keinen Pfifferling wert. Warum habe ich mich soweit abseits versteckt. Er könnte noch am Leben sein, wenn ich vorsichtiger gewesen wäre. Ich bin absolut nichts wert, nicht einmal jagen kann ich.“ Tolgar hörte ihn jammern, und wurde wütend. Er trat zu Goruk und sprach zu ihm: „Wie kannst du nur denken, dass du nichts wert bist. Das ist doch wohl nicht dein Ernst! Meinst du, dass Thorryk sein Leben für dich riskiert hätte, wenn er der Meinung gewesen wäre, dein Leben sei nichts wert. Für etwas, was für einen wertlos ist, riskiert man doch nicht sein Leben! Obwohl Thorryk immer noch wütend auf dich war, war er der Meinung, dass dein Leben für ihn etwas wert sei. Er war nämlich der Meinung, dass jedes Leben einen unschätzbaren Wert darstellt, und ich stimme ihm zu. Er hat dir das Leben gerettet, und du solltest dankbar dafür sein. Ich will nie wieder von dir hören, dein Leben sei nichts wert. Damit nimmst du Thorryks Tat den Sinn und ich will nicht, dass er sinnlos gestorben ist. Außerdem hast du nun die Verantwortung dafür, dass es Thorryks Familie gut geht. Das gebietet die Ehre und so ist es Brauch. Diese Verantwortung wirst du erst los, wenn Lamara wieder heiraten sollte. Da du noch jung bist, wird dein Vater für die Familie aufkommen müssen, doch wenn du erwachsen bist, ist es deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Lamara und Starryk nicht verhungern, bis diese Pflicht von einem anderen Mann übernommen wird. Ich werde Lamara ebenfalls mitversorgen, das gebietet meine langjährige Freundschaft mit Thorryk. Doch du trägst die Hauptverantwortung.“ Daraufhin erwiderte Goruk: „ Ich werde mein Bestes tun. Das ist meine Pflicht, du hast recht. Schließlich ist er für mich gestorben“ Tolgar lächelte und sagte: „Ich weiß! Ich muss mich jetzt um Thorryks Bestattung kümmern. Bleib ruhig liegen und entspanne dich. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.“ Tolgar ging wieder zu Thorryks Leiche, wo die anderen Männer standen. „Hört zu! Wir können hier nicht viel länger bleiben. Wir müssen den Toten bestatten, eine notdürftige Trage bauen unsere Beute zusammenpacken und gehen. Wir teilen uns am besten auf. Ihr zwei kümmert euch um die Trage, du packst die Beute ein und ihr zwei helft mir Thorryk zu bestatten“ Die anderen nickten kurz und entfernten sich dann, um ihre zugewiesene Aufgabe zu erfüllen. Tolgar wies auf die Mitte der Lichtung, wo die Sonnenstrahlen die Erde berührten. „Dort werden wir ihn bestatten. Fangt an zu graben!“ Sie bestatteten Thorryk mit seinen Waffen, wie es Brauch war und beteten für seine Seele. Tolgar weinte an Thorryks Grab und schwor für dessen Familie zu sorgen. Danach schichteten sie Holz in 50 Schritt Entfernung um das Grab herum kreisförmig auf und zündeten das „Wachfeuer“ an. Als dies alles geschehen war, luden sie Goruk auf die Trage, packten die Beute und machten sich auf den Weg nach Hause. Keiner sprach ein Wort auf dem Weg, und diese wachsame Stille war genau das, was alle nötig hatten. Sie kamen ohne Zwischenfälle nach Lichtenbach, wo alle schon gespannt auf sie warteten. Es war drei Stunden nach Einbruch der Dunkelheit, als sie in Lichtenbach ankamen. Lamara stand am Eingang zum Dorf und wartete auf Thorryk. Als sie sah, dass Thorryk nicht unter dem Heimkehrenden war, rannte sie auf Tolgar zu. „Wo ist Thorryk?“, rief sie ihm zu. Tolgar sah ihr entgegen und überlegte was er ihr nun sagen sollte. Er entschied sich für die Wahrheit. „Thorryk ist tot“, sagte er leise, „er wurde von einem Bären erschlagen. Wir konnten ihm nicht helfen. Es tut mir unendlich leid. Doch auch wenn es dir wahrscheinlich kein Trost ist, möchte ich dir sagen, dass er als Held gestorben ist. Er hat Goruk das Leben gerettet.“ Lamara schaute ihn an: „Nein, das kann nicht wahr sein. Tot, nein“ „Doch es ist leider wahr, Lamara“ Er blickte ihr in die Augen und nahm sie tröstend in seine Arme. Lamara war wie erschlagen von dieser Nachricht. Ihr geliebter Mann, tot. Sie weinte in Tolgars Armen und auch Tolgar begann erneut zu weinen. So blieben sie vielleicht eine halbe Stunde lang stehen. Dann hörte Lamara auf zu weinen und Tolgar ließ sie los. Lamara sah ihn an und sagte leise: „Danke, dass du Thorryk so ein guter Freund warst. Er mochte dich sehr, du warst sein bester Freund. Danke, dass du da warst und ich mit dieser Nachricht nicht ganz alleine fertig werden musste, dass du mich in meiner dunkelsten Stunde getröstet hast.“ „Das wäre Thorryks Wille gewesen und daher war es meine Pflicht, ich hab es aber auch gerne getan, nicht nur aus Pflichtbewusstsein“, erwiderte Tolgar. Danach gingen beide in ihre Häuser. Die anderen hatten Goruk bei seinem Vater abgeliefert, ihm berichtet was passiert war und den Dorfältesten geholt, der auch der Arzt des Dorfes war. Nachdem dieser das Bein untersucht hatte, stellte er fest, dass es gebrochen war. Er behandelte das Bein und erklärte Goruks Vater, dass sein Sohn zwei Wochen sein Bein schonen sollte. Danach ließ er sich von den Jägern erklären, was passiert war. „Thorryk hat deinem Sohn also das Leben gerettet und ist dabei gestorben?“ , fragte er Olagor, Goruks Vater. „ Ja, Ältester, und ich bin unsagbar dankbar dafür“, antwortete er. „Sehr schön. Du weißt ja, dass es deine Pflicht ist für Thorryks Familie zu sorgen, oder?“ „Das ist mir klar, Ältester, und ich werde diese Pflicht gerne erfüllen.“ „Gut! Am besten schaust du morgen mal bei Lamara vorbei! Gute Nacht!“ Der Dorfälteste verließ zufrieden das Haus Olagors und ging in sein eigenes. Einen Teil seiner Sorgen waren verflogen, doch dass ausgerechnet der Vater Starryks gestorben war, machte ihm weiterhin Sorgen. Er legte sich schlafen und nahm sich vor morgen darüber nachzudenken. Lamara schlief nicht in dieser Nacht. Sie lag in ihrem Bett und weinte. Starryk lag in seinem kleinen Bettchen und schlief fest und friedlich. Lamara trat zu seinem Kinderbett und betrachtete ihn. Es sah so friedlich aus. Lamara beruhigte sich, diese Friedlichkeit hatte nichts bedrohliches oder trauriges an sich. „Wie soll ich dich nur ohne deinen Vater erziehen? Wenn du wirklich der Beschützer des Lichts bist, brauchst du doch jemanden der dir das Kämpfen beibringt“, dachte sich Lamara. „Ich muss mich allein darum kümmern, vorerst. Warum musste es Thorryk sein? Warum nur? Warum? Wir beide brauchen ihn doch!“ Während sie Starryk beobachtete und über diese Dinge nachdachte, fiel ihr ein, dass morgen Starryks Weihe stattfand. „Dein großer Tag, mein Kleiner!“, flüsterte sie gedankenversunken. „Ich sollte jetzt schlafen!“ Sie legte sich in ihr Bett und fiel sofort in einen erholsamen Schlaf. Am nächsten Morgen wurde Lamara von den ersten Sonnenstrahlen sanft geweckt. Im ersten Moment wollte sie Thorryk einen Kuss geben. Sie drehte sich um, und sah das leere Bett. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass Thorryk tot war. Sie spürte einen stechenden Schmerz in ihrem Herzen. Nie wieder würde sie ihn wachküssen! Sie stand langsam auf, ging zu Starryks Bettchen, beugte sich zu ihm herunter und küsste seine Stirn. Davon wurde er wach. Er schlug die Augen auf und schaute sie an. Der Lichtschein in ihnen war ungewöhnlich hell, sodass ihr Schein Lamaras Gesicht erhellte. Als sie ihn aus seinem Bettchen holte, fing er an kräftig zu schreien. Lamara legte ihn an ihre Brust und stillte ihn, bis er sich beruhigt hatte. Danach legte sie Starryk zurück in sein Bett und zog sich an. Sie aß eine Kleinigkeit, sie verspürte nur wenig Hunger. Dann verließ sie ihr Haus und ging zu Tolgars Haus. Sie klopfte an die Tür und Tolgars Frau Elenia öffnete. „Ich möchte mit Tolgar sprechen. Kann ich hereinkommen?“, fragte Lamara sie. Elenia machte eine einladende Handbewegung und Lamara trat ein. Elenia war sichtlich verlegen und schließlich sprach sie Lamara mit mitleidigem Blick an: „Es tut mir schrecklich leid für dich, daß Thorryk gestorben ist. Ich hoffe, du kommst einigermaßen klar. Wenn du Hilfe bei den Vorbereitungen für das Festmahl heute abend brauchst, sag nur Bescheid!“ „Danke Elenia! Es wäre wirklich nett, wenn du mir heute abend zur Hand gehen könntest. Jetzt wäre ich dir aber sehr dankbar, wenn du deinen Mann holen könntest.“, erwiderte Lamara ungeduldig. Elenia ging die Treppe nach oben und kurz darauf kam sie mit Tolgar zurück. „Guten Morgen, Lamara!“ „Guten Morgen, Tolgar! Könntest du mich zum Grab meines Mannes führen, bitte“ „Jetzt?“ „Ja, jetzt! Ich muss es vor Starryks Weihe sehen und am Grab mit ihm reden.“ „Nun gut, ich werde dich hinführen. Lass uns gehen.“ Tolgar, der sich sehr gut im Wald auskannte, hatte es nicht schwer die Lichtung zu finden. Die Stelle, an der das Wachfeuer gebrannt hatte, war durch den Steinkreis und das verbrannte Gras sehr leicht zu erkennen. Lamara trat in den Kreis und kniete nieder. Tolgar stand am Rande der Lichtung und beobachtete sie. Er hörte sie mit Thorryk sprechen. Sie fragte ihn, was sie tun solle, aber sie erhielt keine Antwort. Sie begann ein Gebet zu sprechen, dessen genauen Wortlaut Tolgar nicht hören konnte. Danach stand sie auf, ging auf Tolgar zu und sprach: „ Lass uns gehen. Ich habe heute noch viel zu tun.“ Tolgar fragte nicht, was sie mit Thorryk besprochen habe und ob sie eine Antwort erhalten habe, sondern nickte nur schweigend und ging los. Eine Stunde später erreichten sie Lichtenbach und Lamara bat Tolgar ihr Elenia zu schicken, da sie nun anfangen müsse, das Essen vorzubereiten. Danach ging sie in ihr Haus und sah nach Starryk. Dieser lag in seinem Bett und schlief. Lamara ließ ihn schlafen und ging in die Küche. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Lamara, die Elenia erwartete, öffnete. Draußen stand Olagor. „Guten Tag, Lamara! Ich bin hier um dir mein Beileid auszusprechen und dir zu versichern, dass ich die Versorgung für dich und deinen Sohn übernehmen werde, wie es Brauch ist. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ „ Danke Olagor“, erwiderte die erstaunte Lamara. „Ich habe jetzt leider keine Zeit um die weiteren Fragen zu klären, da ich mich um die Vorbereitungen für das Festmahl kümmern muss. Ich hoffe du verstehst das.“ „Aber natürlich, Lamara. Wir besprechen die Einzelheiten ein anderes Mal.“ „Gut! Bis heute abend, Olagor.“ Kurz darauf traf Elenia ein und machte sich mit Lamara daran, das Wildbret zuzubereiten. Dabei verging der Tag, wie im Fluge und die Nacht brach an. Starryk hatte den ganzen Tag geschlafen und erwachte bei Anbruch der Dunkelheit. Er machte sich mit lauten Schreien bemerkbar. Lamara nahm ihn aus dem Bettchen, stillte ihn und zog ihn für die Weihe an. Als sie gerade dabei war Starryk anzukleiden, klopfte es an der Tür. Elenia, die wusste, dass Lamara beschäftigt war, öffnete. Es war der Dorfälteste. „Guten Abend, Elenia! Ist Lamara mit den Vorbereitungen fertig?“ „Ich bin gleich soweit, Ältester“, rief Lamara aus dem Schlafzimmer. „Lass dir ruhig Zeit, Lamara“, antwortete der Dorfälteste. Danach setzte er sich in einen Sessel und bat Elenia ihm einen Tee zu kochen. Elenia verschwand in der Küche und holte dem Dorfältesten den Tee. Der Dorfälteste bedankte sich bei ihr und trank vorsichtig und langsam den Tee. Als er den Tee ausgetrunken hatte, trat Lamara in den Raum. Sie hielt den kleinen Starryk in den Armen. Der Dorfälteste stand auf, gab Elenia den leeren Teebecher und trat zu Lamara. Vorsichtig nahm er ihr Starryk ab. „Ich werde ihn nach den alten Sitten und Gebräuchen für die Weihe vorbereiten. In einer Stunde beginnen die Feierlichkeiten. Bis dahin werde ich Starryk mitnehmen. Im Rahmen der Weihe wird auch geklärt, wer für die Erziehung Starryks nach dem Tod seines Vaters verantwortlich ist. Ich hoffe, dass du mit meiner Entscheidung einverstanden sein wirst.“ Nach diesen Worten verließ der Dorfälteste mit Starryk das Haus. Er ging zielstrebig auf sein Haus zu, wo schon einige ältere Männer auf ihn warteten. Behutsam legte er Starryk auf den Tisch und begann einige frisch gepflückte Butterblumen mit einem Mörser zu zerstampfen und zu zermahlen. Hiernach nahm er eine einzige weiße Blüte und legte sie in den Mörser. Auch diese wurde zermahlen. In der Schale war durch diese Kombination eine leuchtend gelbe Farbe entstanden. Der Dorfälteste tauchte seinen Finger in die Farbe und malte einen Stern auf Starryks Stirn. Danach legte er Starryk eine Kette um den Hals, an der ein goldener Sternenanhänger befestigt war. Inzwischen war es draußen dunkel geworden, der Vollmond stand leuchtend am Himmel und Sterne strahlten in ihrer ganzen Pracht. Die Dorfgemeinschaft hatte sich auf dem Festplatz versammelt. In der vordersten Reihe standen Lamara, Tolgar mit seiner Frau Elenia und Olagor mit seiner Frau. Der Dorfälteste verließ mit seinem Tross das Haus. Er betrat, Starryk in den Armen haltend, den Festplatz. Die Menschen bildeten eine Gasse und ließen ihn in die Mitte. In der Mitte des Festplatzes stand ein Podest auf dem der Gründerstein lag. Dieser Felsbrocken war angeblich ein Teil des dunklen Kontinents. Er war von den Dorfgründern mitgebracht worden und galt als heilig. Daher wurde er für die Weihe benutzt. Der Dorfälteste legte den kleinen Starryk vorsichtig auf den Stein. Dann erhob er seine Stimme und das Getuschel der Dorfbewohner erstarb rasch. „Meine lieben Freunde! Eigentlich sollte dies ein Tag der Freude sein. Und in gewisser Hinsicht ist er das auch. Schließlich wird heute der kleine Starryk in unsere Gemeinschaft aufgenommen. Dies ist der wichtigste Tag seines jungen Lebens. Trotzdem ist dies auch ein Tag der Trauer. Denn der Vater Thorryk ein hochgeachtetes Mitglied unserer Gemeinschaft, kann, aufgrund eines tragischen Unfalls, die Weihe seines Sohnes nicht miterleben. Dies ist ein herber Schicksalsschlag für uns alle, besonders für den kleinen Starryk der ohne Vater aufwachsen muss und natürlich für dessen Mutter Lamara, die ihren lieben Mann verloren hat. Die Versorgungsfrage ist glücklicherweise schon geregelt, denn, da Thorryk als Held starb und mit seinem Tode, das Leben eines anderen rettete, ist dieser nach altem Brauch verpflichtet für die Hinterbliebenen zu sorgen. Da der Gerettete Goruk noch nicht ausgewachsen ist, wird sein Vater Olagor für die Versorgung von Lamara und Starryk sorgen. Hiermit ist dieses Problem zumindestens in materieller Hinsicht gelöst. Bevor wir zur Weihe kommen, möchte ich noch die Frage klären, wer verantwortlich für Starryks Erziehung ist. Ich habe diese Nacht ausgiebig über diese Frage nachgedacht und habe, glaube ich, eine annehmbare Lösung gefunden. Die Hauptverantwortung trägt Lamara, seine Mutter. Wenn Starryk alt genug ist, wird ihm Tolgar mit Unterstützung Goruks das Kämpfen und Jagen lernen und ihm in der Kunst des Fährtenlesens unterrichten. Da dies Kind etwas besonderes ist, werde ich, sobald es alt genug ist, für die höhere Bildung sorgen, ihm lesen, schreiben und rechnen beibringen und ihm die Geschichte unseres Volkes lehren. Ich hoffe, dass die Angesprochenen mit dieser Entscheidung einverstanden sind.“ Ein zustimmendes Nicken Lamaras und Tolgars bestätigte, die Ansicht des Dorfältesten eine weise Entscheidung getroffen zu haben. Es war eine große Ehre vom Dorfältesten unterrichtet zu werden, und die Geschichte ihres Volkes kannten die wenigsten, obwohl jeder etwas schreiben, lesen und rechnen konnte. Richtig gut konnte diese Dinge in den vielen kleinen Dörfern von Ansala nur der Älteste, der sein Wissen nur an denjenigen weitergab, den er zu seinem Nachfolger auserkoren hatte. In der Hauptstadt gab es viele Gelehrte, die sich mit der Geschichte ihres Volkes befassten und die ausgezeichnet schreiben, lesen und rechnen konnten. Sie waren Forscher, die versuchten sich die Kräfte der Natur zugänglich zu machen und der Menschheit wieder die Möglichkeit zu geben, Magie des Lichts zu benutzen. Bislang waren alle Versuche erfolglos geblieben. Von diesen Problemen der Gelehrten wusste das einfache Volk freilich nichts. Die Geschichte ihres Volkes begann für sie mit den Erzählungen ihrer Großeltern von der letzten großen Hungersnot, der letzten Missernte, dem letzten Unwetter oder dem großen Krieg der Kontinente vor hundert Jahren. Was weiter zurücklag, davon hatten nur die Gelehrten in der Hauptstadt und die Dorfältesten eine Ahnung. Dass Starryk vom Dorfältesten in diese Geheimnisse eingeweiht werden sollte, konnte sich von den Anwesenden nur Lamara erklären, die dank der Erzählung des Dorfältesten mehr wusste, als die anderen. Daher begannen die Anwesenden zu tuscheln, die für diesen Entschluss überhaupt kein Verständnis aufbringen konnten. Der Dorfälteste sah dieses Unverständnis in den Augen der Menschen, nur Lamara lächelte ihn wissend an. Um Fragen zuvorzukommen, sprach er schnell weiter. „Ich sehe, dass die Betroffenen mit meiner Entscheidung einverstanden sind. Daher soll es so geschehen, wie verkündet. Damit ist auch dieses Problem gelöst. Lasst uns nun also zur Weihe kommen.“ Er drehte sich um und nahm behutsam den kleinen Starryk in seine Arme. Dieser blickte sich mit weit aufgerissenen leuchtenden Augen um. Der Dorfälteste lächelte ihn an und der Kleine begann ebenfalls zu lächeln. Nun drehte sich der Dorfälteste wieder zur wartenden Menge. Er hielt den kleinen Starryk hoch so dass jeder ihn sehen konnte. Dann erhob er erneut seine Stimme: „Du, Starryk, Sohn von Lamara und Thorryk wirst hiermit in die Dorfgemeinschaft als vollwertiges Mitglied aufgenommen. Das Lebenslicht deines Vaters ist vom Himmel verschwunden. Dein Stern möge hell an seiner Stelle erstrahlen.“ Nach diesen Worten hielt er den klein Starryk so, dass seine Stirn und der darauf aufgemalte Stern gen Sternenhimmel zeigen. Es sah so aus, als wolle er ihn hinaufwerfen. In dieser Pose sprach er die rituellen Worte: „Möge dein Stern lange und hell erstrahlen, mögen die Götter ihn segnen und ihm die Kraft des Lichts geben. Ich übergebe dein Leben der Obhut des Lichts. Möge es wachen über dich, bis ans Ende eines langen erfüllten Leben. So möge es sein, heute und morgen und alle Tage deines Lebens.“ In diesen Augenblick leuchtete ein Stern kurz hell auf. „Die Götter haben geantwortet. Unsere Wünsche wurden erhört.“ Nach diesen Worten ließ der Dorfälteste sein Arme sinken. Er wirkte erschöpft. „Ich werde langsam zu alt für so etwas.“ Er übergab Starryk Lamara und gratulierte ihr zur Weihe. Danach trat er erneut aufs Podest und rief: „Nun ist es Zeit für den Festschmaus. Helft alle mit, dann wird das Essen bald fertig sein.“ Danach ging er in sein Haus, während sich Lamara mit Elenia daran machte das Essen aufzutragen. Als Lamara Starryk in sein Bett brachte, schaute er sie mit seinen leuchtenden Augen an und sagte leise: „MAMA“ Lamara blickte erstaunt auf: „Er kann schon sprechen, nach 6 Monaten. Er muss wahrhaft etwas besonderes sein.“ Freudestrahlend ging sie in die Küche und machte sich an die Arbeit. Es wurde ein schönes Fest und als es vorbei war fiel Lamara erschöpft in ihr Bett. |
(c)
Starwalker Thomas, 2001
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