(c) Saxmut Schwarz , 2000



 

Klatschnass hingen die Haare der jungen Frau zu Boden. Ihre langen, schlanken Beine waren blutleer und schimmerten blau. Über ihrem wundervollen Mund quoll dunkelrotes Blut und sammelte sich unterhalb der knorrigen Eiche, wo ihr lebloser Körper baumelte und sanft von leichten Windböen hin und her geschaukelt wurde. Der Tod von Rosalie war noch gar nicht so lange her und der lange Schnitt auf ihrem Hals, der geschickt mit einem schlanken Messer aus Solinger Produktion geführt worden war hatte beide Schlagadern durchtrennt. Anfangs hatte das Blut noch gepumpt und ihre Gesicht war allmählich bleich geworden, als sie langsam das Bewusstsein verlor. Das einzige was blieb, war der entsetzte Ausdruck in ihren grünen Augen, als die scharfe Klinge in ihre glatte, schweißnasse Haut gedrungen war. Sie hatte geröchelt, denn der Schrei war im anschwellenden Pulsen ihres Blutes untergegangen und außerdem hatten ihr starke Hände die Luft abgeschnürt, die sie sowieso nicht mehr benötigt hätte. Sie war ohnmächtig zusammengesunken und ihre nackten Brüste waren mit fantastischen roten Fingerabdrücken übersät. Die Hand an ihrem rotblonden Dreieck hatte sie noch lange zärtlich gestreichelt, obwohl ihre Gefühle mit ihrem Leben verschieden waren und die Stimme ihrer nächtlichen Leidenschaft hatte noch lange sanft mit ihr gesprochen, obwohl nichts mehr an ihr Bewusstsein dringen konnte. Jetzt hing sie kopfüber an einem starken Ast und das letzte Blut rann an ihrem Hals, den bleich schimmernden Wangen und dem langen blonden Haar herab und fiel in großen, glitzernden Tropfen zur Erde. Doch nicht die taubetupfte Wiese war es, die das rote Blut wie Regenwasser aufsog, sondern ein weit geöffneter Mund, der mit seiner gierigen Zunge jeden einzelnen Tropfen trank und in sich aufnahm, als wäre es der Atem Gottes!

 

 

Die einsame Wanderung durch den finsteren Wald hatte seinen Reiz und die Stille ließ Zeit zum Nachdenken. Morgen würde Vollmond sein dachte er und morgen würde auch er sich eine Abwechslung suchen. Aber welche Alternativen gab es schon außer den einsamen Wanderungen im Wald und den Unterhaltungsangeboten einer Großstadt?

Vor seinem äußeren Aussehen ließen sich die meisten Leute verschrecken, aber hier in der Großstadt kannte ihn niemand und so war es ihm auch recht. Nach einem Streifzug durch die angesagtesten Clubs in der Stadt landete er in einem autonomen Jungendzentrum ganz am Ende des Rotlichtviertels. Grüne Welle hieß der Laden und seine fünf Mark Eintritt hatten sich wirklich gelohnt. In der rauchigen Atmosphäre des Clubs war das Bier billig und die Leute genauso abgefahren wie er. Hier fiel er gar nicht auf, das wusste er. Der Club, der aus einem einzigen Raum bestand war jedoch so überfüllt, das er sich zwangsläufig auf der Tanzfläche aufhalten musste. „FUCK THE LAW, FUCK THE LAW...“ dröhnte die bassgeschwängerte Musik. Die schweißnassen Haare einer besonders engagierten Tänzerin peitschten ihm ins Gesicht. Ihre Bewegungen waren Schlangengleich und ihre prallen Brüste, die nur von einem leichten Oberteil bedeckt waren, schienen im Takt der Bässe mit zu wippen. Er blickte hart in ihre Augen und sein seelenloses Starren wurde von ihr mit einem pferdeartigen Grinsen belohnt. Vor und zurück schleuderte ihr Kopf wie in einer Art Trance und ihre feuchte Kleidung ließ das darunter befindliche Muster ihrer körperlichen Konturen nicht nur erahnen. Er wendete sich ab und sein Gegenüber blieb tänzelnd hinter ihm zurück. Gelassen schlenderte er zur Bar und bestellte sich einen doppelten Gin Tonic. Gerade wurde der Boden des zweiten Glases beim Trinken sichtbar, da tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Langsam drehte er sich um und erkannte im Tabaknebel eine schlanke Frau, bei deren erstem Lächeln ihm sofort die abstoßende Zahnlücke, nein es war ein fast schwarzer Zahn, auffiel. Ohne auch nur den geringsten Schatten einer Gesichtsregung zu zeigen starrte er sie mit seinen durchdringenden, blauen Augen an. Er verzog keine Miene und wartete ganz einfach darauf, das sein Gegenüber anfing zu reden. Er musste nicht lange warten, denn die junge Frau mit den kurzen, dunklen Haaren nahm sich nicht einmal die Zeit um Hallo zu sagen.

„Ich wollte dich eigentlich nur fragen, ob du mal Zeit hast mit vor die Tür zu kommen?“ plapperte sie los.

Bedächtig strich er sich durch das lange, schwarze Haar, das ihm strähnig auf die Schultern rann. „Warum eigentlich?“ wiedersetzte er kurz, mit einem Anflug von Misstrauen.

„Ähm, meine Freundin hat dich vorhin auf der Tanzfläche gesehen und möchte sich gerne mal mit dir unterhalten.“ sagte sie. „Ich glaub, sie steht auf dich.“

Er überlegte kurz und erhob sich, nachdem er noch schnell sein Glas gelehrt hatte, von seinem Hocker. „Warum eigentlich nicht.“ sagte er kurz angebunden. „Gehen wir.“

 

„Ich lass euch dann mal allein.“ sagte seine Begleiterin, nachdem sie ihn zu ihrer Freundin gebracht hatte. Es war das Mädchen von vorhin, nur hatte sie jetzt einen braunen Kapuzenpullover übergezogen. Sie saß draußen vor dem Club auf einer breiten Bank. Er setzte sich zu ihr und schaute ihr ruhig in die Augen. Sie wich seinem Blick aus und sprach kein einziges Wort. Verlegenheit konnte es nicht sein, dass wusste er. Er nahm ihre Hand in die seine und wartete noch einen kurzen Augenblick, bevor er anfing zu reden. „Was nun?“ fragte er sie und sein bartloser Mund berührte fast ihr Ohr, als er mit gedämpfter Stimme zu ihr sprach. Sie sagte noch immer kein Wort, aber die leichte Drehung ihres Kopfes sagte ihm, was sie begehrte. Er berührte ihr goldenes Haar und als sie den Kopf so weit gedreht hatte, das sich ihre Münder gegenüberlagen, trafen sie sich zu einem flüchtigen Kuss.

Es war eine Atmosphäre des Wissens, denn beiden war bewusst, wo sie ihr Schicksal heute hinführen würde. Doch nur der Vollmond kannte die schreckliche Gewissheit des Kommenden! – Der leichte Nieselregen der kurz nach ihrem ersten Kuss eingesetzt hatte, vertrieb den letzten, kläglichen Rest der Gäste, die vor der Tür gestanden hatten. Sie waren allein, ganz allein. „Jahhh.“ flüsterte sie erregt in sein Ohr, als er das Streicheln ihrer Schenkel auf das Zentrum ihrer Wolllust verlegte. Das Spiel ihrer Zungen wurde heftiger und ihre Leidenschaft nahm mit jeder Berührung ihrer Lippen zu. Er spürte ihren warmen Atem an seinem Hals und er wusste, dass nichts und niemand ihn aufhalten würde.

 

Der Abend, oder doch besser der Morgen war warm und ein kleiner Gedanke begann sich in seinem Hirn festzusetzen. Erst winzig, doch dann immer größer wuchs er in ihm und begann sich über seinen Geist zu legen und sich hinter seiner sorgenvollen Stirn zu manifestieren. Ihr leidenschaftlicher Kuss verebbte flüchtig über seinen fest aneinander gepressten Lippen. „Was ist?“ fragte sie sanft und lüstern und der Hauch eines perversen Gedankens schien ihr dabei durch den Kopf zu huschen. Er schaute ihr lange und tief in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand und ihre Hände umschmeichelten den Reißverschluss seiner Hose. Jetzt lächelte er seinerseits. „Drüben der Park ist ruhig, ich glaube dort sind wir beide ungestört.“ Noch einmal verzog sich sein Mund, doch im Schatten der Hauswand konnte man nicht erkennen, ob es ein ehrlich gemeintes Lächeln war, oder das wahnsinnige Grinsen eines Verrückten.

 

Der Mond hatte sich hinter irgend einer Wolke versteckt und das spärliche Straßenlicht erhellte ihren Weg nur teilweise. Die Straßen der Stadt waren fast menschenleer, nur ab und zu fuhr ein Kleinwagen an ihnen vorbei. Kurz vor dem Stadtpark lagen sie sich noch einmal in den Armen und ihre Zungen liebkosten sich gegenseitig und als sie den finsteren Park betraten, war es, als wehe ihnen ein kühler Schauder entgegen, dumpf und feucht, wie aus einer tiefen Gruft. Die Stille im Park war seltsam, fast so, als wäre alles Leben eingeschlafen. Seine Gedanken waren dunkel und sein Trieb im Vollmondschein war schwärzer als die finstersten Schatten im weiten Universum.

 

Das dumpfe Keuchen drang über die taunasse Wiese und Rosalie, so war ihr Name, nicht wahr, stöhnte lustvoll unter den kräftigen Stößen. Seine Augen starrten in die ihren und er fühlte wie sie sich ihren Gefühlen ergab. Sie warf ihre Kopf zurück und ihre nassen Haare klebten an ihrem Busen und ihren Schultern. Sie presste ihr Becken fest an ihn und ihre Hände ruhten auf seiner behaarten Brust. Erst langsam und dann immer schneller bewegte sie sich auf ihm, wie die Wellen des Meeres. Er schloss die Augen und ergab sich ganz seinem Fühlen, dem Augenblick höchster Ekstase. Sein Körper passte sich ihren Bewegungen an und antwortete ihr mit heftigen Stößen. Auch ihr Becken kreiste wilder und die Wellen ihrer Bewegungen steigerten sich zu einem Sturm der Gefühle. Sie nahmen nichts wahr, außer ihrem Stöhnen, dem sprunghaften Keuchen und der leidenschaftlichen Berührung ihrer Körper. Ihre Hände suchten sich ihre Bahn, doch nicht um ihn zu berühren, nein, sie umfassten den lederumwickelten Griff seines Messers. Seine Augen wurden groß, als sich der Vollmondschein in der blanken Klinge spiegelte. Langsam senkte sie ihren Oberkörper wieder hinab und ihre vollen Lippen berührten die seinen. Das Messer lag fest an seinem Hals und das Gefühl der kalten Klinge an seinem Körper ließ ihn die Macht fühlen, die davon ausging. Tod und Leben, Schatten und Licht spiegelten sich darin wieder. Die silbrigen Strahlen des Mondes warfen ihr waberndes Licht auf den Stahl und die scharf geschliffene Klinge reflektierte den Mondschein in seine Augen. Der Mond wusste was kommen mochte und auch er selbst hatte die Verwandlung so oft vollzogen, dass er keine Angst mehr vor ihr hatte. Das Schicksal, ihr Schicksal war besiegelt, es prangte hell und rund am nächtlichen Sternenhimmel. Endlich: Seine aufgestauten Gefühle suchten sich ihren Weg und entluden sich kraftvoll in Rosalies Körper. Langsam verblasste der Sturm seiner Gefühle und die Wellen seiner Erregung wurden ruhiger bis sie schließlich ganz verebbten. Schweißgebadet und ausgelaugt lag er neben ihr. Doch ihre einstige Schönheit war verblasst, ihr Körper glich dem einer verwelkten Rose, tief - rot und doch blass und verloren. „Es war nicht seine Schuld“ dachte er noch bei sich, als er ihren Körper kopfüber an dem Ast der Eiche aufhängte. „Sie wollte es nicht anders!“ Sein Geheimnis war so namenlos und schrecklich, dass es niemals nach Außen dringen durfte. Er hatte seinen Trieb befriedigt, er hatte die Klinge über ihre Kehle gleiten lassen und sie sanft, wie einen Säugling in seinen Armen gewiegt, bis der letzte Hauch ihres Lebens verstrichen war. Seine Lippen hatten noch lange auf ihrem Mund geruht und das Blut rann an seinen Mundwinkeln herab. Es war ein satanischer Anblick und das Böse selbst schien in ihm zu ruhen, denn sein Körper war nicht mehr der eines Menschen, sondern es war der Körper eines Tieres, eines Wolfes im Vollmondschein. - Noch bevor der letzte Tropfen ihres kostbaren Blutes aus ihrem Leib geronnen war, hatte er den Park verlassen.

 

Er saß noch vor der Morgendämmerung in der Straßenbahn, in der ersten Bahn überhaupt an diesem Tage. Die meisten Fahrgäste waren auf dem Weg zur Arbeit und ein älterer Mann ihm Gegenüber studierte die Morgenpost. Der Aufmacher auf Seite eins schien ihn besonders zu interessieren. Die großen schwarzen Letter drangen ihm ins Bewusstsein und ihm wurde schwarz vor den Augen. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.  An der nächsten Haltestelle stieg er aus und übergab sich in einem großen Schwall auf den Bürgersteig. Rosalie war ihr Name, nicht wahr und noch immer hallten die Wörter in ihm nach: WOLFSMÖRDER NOCH IMMER NICHT GEFASST! WIEVIEL TOTE NOCH? – Nur er konnte die Frage beantworten und vielleicht... vielleicht auch der Vollmondschein!

(c) Saxmut Schwarz , 2000