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Klatschnass
hingen die Haare der jungen Frau zu Boden. Ihre langen, schlanken Beine
waren blutleer und schimmerten blau. Über ihrem wundervollen Mund quoll
dunkelrotes Blut und sammelte sich unterhalb der knorrigen Eiche, wo ihr
lebloser Körper baumelte und sanft von leichten Windböen hin und her geschaukelt
wurde. Der Tod von Rosalie war noch gar nicht so lange her und der lange
Schnitt auf ihrem Hals, der geschickt mit einem schlanken Messer aus Solinger
Produktion geführt worden war hatte beide Schlagadern durchtrennt. Anfangs
hatte das Blut noch gepumpt und ihre Gesicht war allmählich bleich geworden,
als sie langsam das Bewusstsein verlor. Das einzige was blieb, war der
entsetzte Ausdruck in ihren grünen Augen, als die scharfe Klinge in ihre
glatte, schweißnasse Haut gedrungen war. Sie hatte geröchelt, denn der
Schrei war im anschwellenden Pulsen ihres Blutes untergegangen und außerdem
hatten ihr starke Hände die Luft abgeschnürt, die sie sowieso nicht mehr
benötigt hätte. Sie war ohnmächtig zusammengesunken und ihre nackten Brüste
waren mit fantastischen roten Fingerabdrücken übersät. Die Hand an ihrem
rotblonden Dreieck hatte sie noch lange zärtlich gestreichelt, obwohl
ihre Gefühle mit ihrem Leben verschieden waren und die Stimme ihrer nächtlichen
Leidenschaft hatte noch lange sanft mit ihr gesprochen, obwohl nichts
mehr an ihr Bewusstsein dringen konnte. Jetzt hing sie kopfüber an einem
starken Ast und das letzte Blut rann an ihrem Hals, den bleich schimmernden
Wangen und dem langen blonden Haar herab und fiel in großen, glitzernden
Tropfen zur Erde. Doch nicht die taubetupfte Wiese war es, die das rote
Blut wie Regenwasser aufsog, sondern ein weit geöffneter Mund, der mit
seiner gierigen Zunge jeden einzelnen Tropfen trank und in sich aufnahm,
als wäre es der Atem Gottes! Die
einsame Wanderung durch den finsteren Wald hatte seinen Reiz und die Stille
ließ Zeit zum Nachdenken. Morgen würde Vollmond sein dachte er und morgen
würde auch er sich eine Abwechslung suchen. Aber welche Alternativen gab
es schon außer den einsamen Wanderungen im Wald und den Unterhaltungsangeboten
einer Großstadt? Vor
seinem äußeren Aussehen ließen sich die meisten Leute verschrecken, aber
hier in der Großstadt kannte ihn niemand und so war es ihm auch recht.
Nach einem Streifzug durch die angesagtesten Clubs in der Stadt landete
er in einem autonomen Jungendzentrum ganz am Ende des Rotlichtviertels.
Grüne Welle hieß der Laden und seine fünf Mark Eintritt hatten
sich wirklich gelohnt. In der rauchigen Atmosphäre des Clubs war das Bier
billig und die Leute genauso abgefahren wie er. Hier fiel er gar nicht
auf, das wusste er. Der Club, der aus einem einzigen Raum bestand war
jedoch so überfüllt, das er sich zwangsläufig auf der Tanzfläche aufhalten
musste. „FUCK THE LAW, FUCK THE LAW...“ dröhnte die bassgeschwängerte
Musik. Die schweißnassen Haare einer besonders engagierten Tänzerin peitschten
ihm ins Gesicht. Ihre Bewegungen waren Schlangengleich und ihre prallen
Brüste, die nur von einem leichten Oberteil bedeckt waren, schienen im
Takt der Bässe mit zu wippen. Er blickte hart in ihre Augen und sein seelenloses
Starren wurde von ihr mit einem pferdeartigen Grinsen belohnt. Vor und
zurück schleuderte ihr Kopf wie in einer Art Trance und ihre feuchte Kleidung
ließ das darunter befindliche Muster ihrer körperlichen Konturen nicht
nur erahnen. Er wendete sich ab und sein Gegenüber blieb tänzelnd hinter
ihm zurück. Gelassen schlenderte er zur Bar und bestellte sich einen doppelten
Gin Tonic. Gerade wurde der Boden des zweiten Glases beim Trinken sichtbar,
da tippte ihm jemand von hinten auf die Schulter. Langsam drehte er sich
um und erkannte im Tabaknebel eine schlanke Frau, bei deren erstem Lächeln
ihm sofort die abstoßende Zahnlücke, nein es war ein fast schwarzer Zahn,
auffiel. Ohne auch nur den geringsten Schatten einer Gesichtsregung zu
zeigen starrte er sie mit seinen durchdringenden, blauen Augen an. Er
verzog keine Miene und wartete ganz einfach darauf, das sein Gegenüber
anfing zu reden. Er musste nicht lange warten, denn die junge Frau mit
den kurzen, dunklen Haaren nahm sich nicht einmal die Zeit um Hallo
zu sagen. „Ich
wollte dich eigentlich nur fragen, ob du mal Zeit hast mit vor die Tür
zu kommen?“ plapperte sie los. Bedächtig
strich er sich durch das lange, schwarze Haar, das ihm strähnig auf die
Schultern rann. „Warum eigentlich?“ wiedersetzte er kurz, mit einem Anflug
von Misstrauen. „Ähm,
meine Freundin hat dich vorhin auf der Tanzfläche gesehen und möchte sich
gerne mal mit dir unterhalten.“ sagte sie. „Ich glaub, sie steht auf dich.“ Er überlegte
kurz und erhob sich, nachdem er noch schnell sein Glas gelehrt hatte,
von seinem Hocker. „Warum eigentlich nicht.“ sagte er kurz angebunden.
„Gehen wir.“
„Ich
lass euch dann mal allein.“ sagte seine Begleiterin, nachdem sie ihn zu
ihrer Freundin gebracht hatte. Es war das Mädchen von vorhin, nur hatte
sie jetzt einen braunen Kapuzenpullover übergezogen. Sie saß draußen vor
dem Club auf einer breiten Bank. Er setzte sich zu ihr und schaute ihr
ruhig in die Augen. Sie wich seinem Blick aus und sprach kein einziges
Wort. Verlegenheit konnte es nicht sein, dass wusste er. Er nahm ihre
Hand in die seine und wartete noch einen kurzen Augenblick, bevor er anfing
zu reden. „Was nun?“ fragte er sie und sein bartloser Mund berührte fast
ihr Ohr, als er mit gedämpfter Stimme zu ihr sprach. Sie sagte noch immer
kein Wort, aber die leichte Drehung ihres Kopfes sagte ihm, was sie begehrte.
Er berührte ihr goldenes Haar und als sie den Kopf so weit gedreht hatte,
das sich ihre Münder gegenüberlagen, trafen sie sich zu einem flüchtigen
Kuss. Es war
eine Atmosphäre des Wissens, denn beiden war bewusst, wo sie ihr Schicksal
heute hinführen würde. Doch nur der Vollmond kannte die schreckliche Gewissheit
des Kommenden! – Der leichte Nieselregen der kurz nach ihrem ersten Kuss
eingesetzt hatte, vertrieb den letzten, kläglichen Rest der Gäste, die
vor der Tür gestanden hatten. Sie waren allein, ganz allein. „Jahhh.“
flüsterte sie erregt in sein Ohr, als er das Streicheln ihrer Schenkel
auf das Zentrum ihrer Wolllust verlegte. Das Spiel ihrer Zungen wurde
heftiger und ihre Leidenschaft nahm mit jeder Berührung ihrer Lippen zu.
Er spürte ihren warmen Atem an seinem Hals und er wusste, dass nichts
und niemand ihn aufhalten würde. Der
Abend, oder doch besser der Morgen war warm und ein kleiner Gedanke begann
sich in seinem Hirn festzusetzen. Erst winzig, doch dann immer größer
wuchs er in ihm und begann sich über seinen Geist zu legen und sich hinter
seiner sorgenvollen Stirn zu manifestieren. Ihr leidenschaftlicher Kuss
verebbte flüchtig über seinen fest aneinander gepressten Lippen. „Was
ist?“ fragte sie sanft und lüstern und der Hauch eines perversen Gedankens
schien ihr dabei durch den Kopf zu huschen. Er schaute ihr lange und tief
in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand und ihre Hände umschmeichelten
den Reißverschluss seiner Hose. Jetzt lächelte er seinerseits. „Drüben
der Park ist ruhig, ich glaube dort sind wir beide ungestört.“ Noch einmal
verzog sich sein Mund, doch im Schatten der Hauswand konnte man nicht
erkennen, ob es ein ehrlich gemeintes Lächeln war, oder das wahnsinnige
Grinsen eines Verrückten. Der
Mond hatte sich hinter irgend einer Wolke versteckt und das spärliche
Straßenlicht erhellte ihren Weg nur teilweise. Die Straßen der Stadt waren
fast menschenleer, nur ab und zu fuhr ein Kleinwagen an ihnen vorbei.
Kurz vor dem Stadtpark lagen sie sich noch einmal in den Armen und ihre
Zungen liebkosten sich gegenseitig und als sie den finsteren Park betraten,
war es, als wehe ihnen ein kühler Schauder entgegen, dumpf und feucht,
wie aus einer tiefen Gruft. Die Stille im Park war seltsam, fast so, als
wäre alles Leben eingeschlafen. Seine Gedanken waren dunkel und sein Trieb
im Vollmondschein war schwärzer als die finstersten Schatten im weiten
Universum. Das
dumpfe Keuchen drang über die taunasse Wiese und Rosalie, so war ihr Name,
nicht wahr, stöhnte lustvoll unter den kräftigen Stößen. Seine Augen starrten
in die ihren und er fühlte wie sie sich ihren Gefühlen ergab. Sie warf
ihre Kopf zurück und ihre nassen Haare klebten an ihrem Busen und ihren
Schultern. Sie presste ihr Becken fest an ihn und ihre Hände ruhten auf
seiner behaarten Brust. Erst langsam und dann immer schneller bewegte
sie sich auf ihm, wie die Wellen des Meeres. Er schloss die Augen und
ergab sich ganz seinem Fühlen, dem Augenblick höchster Ekstase. Sein Körper
passte sich ihren Bewegungen an und antwortete ihr mit heftigen Stößen.
Auch ihr Becken kreiste wilder und die Wellen ihrer Bewegungen steigerten
sich zu einem Sturm der Gefühle. Sie nahmen nichts wahr, außer ihrem Stöhnen,
dem sprunghaften Keuchen und der leidenschaftlichen Berührung ihrer Körper.
Ihre Hände suchten sich ihre Bahn, doch nicht um ihn zu berühren, nein,
sie umfassten den lederumwickelten Griff seines Messers. Seine Augen wurden
groß, als sich der Vollmondschein in der blanken Klinge spiegelte. Langsam
senkte sie ihren Oberkörper wieder hinab und ihre vollen Lippen berührten
die seinen. Das Messer lag fest an seinem Hals und das Gefühl der kalten
Klinge an seinem Körper ließ ihn die Macht fühlen, die davon ausging.
Tod und Leben, Schatten und Licht spiegelten sich darin wieder. Die silbrigen
Strahlen des Mondes warfen ihr waberndes Licht auf den Stahl und die scharf
geschliffene Klinge reflektierte den Mondschein in seine Augen. Der Mond
wusste was kommen mochte und auch er selbst hatte die Verwandlung so oft
vollzogen, dass er keine Angst mehr vor ihr hatte. Das Schicksal, ihr
Schicksal war besiegelt, es prangte hell und rund am nächtlichen Sternenhimmel.
Endlich: Seine aufgestauten Gefühle suchten sich ihren Weg und entluden
sich kraftvoll in Rosalies Körper. Langsam verblasste der Sturm seiner
Gefühle und die Wellen seiner Erregung wurden ruhiger bis sie schließlich
ganz verebbten. Schweißgebadet und ausgelaugt lag er neben ihr. Doch ihre
einstige Schönheit war verblasst, ihr Körper glich dem einer verwelkten
Rose, tief - rot und doch blass und verloren. „Es war nicht seine Schuld“
dachte er noch bei sich, als er ihren Körper kopfüber an dem Ast der Eiche
aufhängte. „Sie wollte es nicht anders!“ Sein Geheimnis war so
namenlos und schrecklich, dass es niemals nach Außen dringen durfte. Er
hatte seinen Trieb befriedigt, er hatte die Klinge über ihre Kehle gleiten
lassen und sie sanft, wie einen Säugling in seinen Armen gewiegt, bis
der letzte Hauch ihres Lebens verstrichen war. Seine Lippen hatten noch
lange auf ihrem Mund geruht und das Blut rann an seinen Mundwinkeln herab.
Es war ein satanischer Anblick und das Böse selbst schien in ihm zu ruhen,
denn sein Körper war nicht mehr der eines Menschen, sondern es war der
Körper eines Tieres, eines Wolfes im Vollmondschein. - Noch bevor der
letzte Tropfen ihres kostbaren Blutes aus ihrem Leib geronnen war, hatte
er den Park verlassen. Er saß
noch vor der Morgendämmerung in der Straßenbahn, in der ersten Bahn überhaupt
an diesem Tage. Die meisten Fahrgäste waren auf dem Weg zur Arbeit und
ein älterer Mann ihm Gegenüber studierte die Morgenpost. Der Aufmacher
auf Seite eins schien ihn besonders zu interessieren. Die großen schwarzen
Letter drangen ihm ins Bewusstsein und ihm wurde schwarz vor den Augen.
Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. An der nächsten Haltestelle stieg
er aus und übergab sich in einem großen Schwall auf den Bürgersteig. Rosalie
war ihr Name, nicht wahr und noch immer hallten die Wörter in ihm nach:
WOLFSMÖRDER NOCH IMMER NICHT GEFASST! WIEVIEL TOTE NOCH? – Nur er konnte
die Frage beantworten und vielleicht... vielleicht auch der Vollmondschein! (c) Saxmut Schwarz , 2000 |