(c) Antje Grüger, 2000



Er konnte die Hitze des Feuers spüren, die glühenden Flammenzungen versengten fast seine Haut. Der Schwefelgestank drang in seine Nase, trieb brennende Tränen in seinen Augen , so daß er nur verschwommen sehen konnte, was wenige Meter von ihm entfernt geschah.
Der schuppige Körper des Drachens hatte sich zu seiner vollen Höhe aufgerichtet, Flammen sprühten aus seinem Maul und er sah wie durch einen Nebelschleier die scharfen Zähne, die im Mondlicht glänzten. Er versuchte, sein Schwert zu ziehen, aber seine Hände gehorchten ihm nicht mehr. Todesangst umklammerte sein Herz wie ein Eisenring.

Die dunkle Gestalt, die sich vom Rande der Lichtung näherte, hielt er für eine Wahnvorstellung. Halb bewußtlos nahm er wahr, wie ihre langen schwarzen Haare vom Nachtwind gepeitscht wurden. Ihre Augen glänzten seltsam im Mondlicht, es war, als würde sie zu dem Drachen sprechen. Dann fühlte er, wie sie sich ihm näherte, er konnte den süßen Duft ihres Körpers riechen, als er sich über sie beugte. Ihr Kuß war wild und heiß wie das Feuer des Drachen. Verschwommen nahm er wahr, wie sie auf den schlagengleichen Körper stieg und ihren schlanken Körper eng an ihn preßte, als der Drachen seine Schwingen ausbreitete. Er fühlte den Luftzug auf seiner Haut, als sich der Drachen in die Lüfte erhob, dann war alles schwarz um ihn...

***

Tarán schreckte auf. Sein Blick fiel auf das ersterbende Feuer, Schweiß rann seinen Körper herunter. Wieder der Traum... Das Erlebnis lag schon viele Jahre zurück, aber immer wieder erlebte er es in seinen Träumen.

Die anderen Mitglieder seines Ravenclans schliefen noch dicht in ihre Decken gewickelt und merkten nichts von seinem Aufruhr. Er stieß einen leisen Fluch aus, als er merkte, daß der Schlaf ihn für einen Augenblick übermannt hatte, obwohl er für die nächsten Nachstunden die Wache übernommen hatte. Sein jahrelanges Leben in den Wäldern zusammen mit den Rebellen des Ravenclans hatte jedoch seine Sinne so geschärft, daß er sofort merkte, wenn irgendetwas in seiner Umgebung nicht stimmte.

Ein leiser Windhauch ließ das Feuer aufflackern. Zweige knackten, er witterte Gefahr. Eisen klirrte, ein Schrei....

Er hatte sein Schwert bereits gezogen bevor er mit wenigen Schritten die Lichtung überquert hatte und in den Wald eingedrungen war. Mit einem Blick erfaßte er die Situation: Die bis zur Hüfte aufgerissene Lederkleidung des jungen Mannes, das dunkle Blut auf seinen Schenkeln und die beiden Krieger, die sich gierig über ihn beugten. Es war in diesen Kriegszeiten nicht einmal ungewöhnlich, daß Krieger ihre Lust an einem jungen Mann ausließen. Tarán hatte den Überraschungseffekt auf seiner Seite, als er mit gezücktem Schwert auf sie losging. Der Kampf war kurz und heftig. Es gelang nur einem der beiden Krieger, das Schwert zu ziehen, nachdem sein Freund von der spitzen Klinge durchbohrt wurde. Es war sonst nicht Tarán’s Art, unbewaffnete Menschen zu töten, aber in diesem Fall wollte er Gleiches mit Gleiches vergelten. Der zweite Krieger war unerwartet geschickt mit seinem Schwert und es war nur Tarán’s langem Leben in den Wäldern und seinem dadurch gewonnenen Überlebensinstinkt und Kampfreflexen zu verdanken, daß er ihn schließlich überwältigen konnte.

Der erste Blick auf den Körper, der leblos auf den Waldboden lag, versetzte ihn in Erstaunen. Die Rundungen, die sich unter der zerrissenen Lederkleidung abzeichneten, sprachen eine deutliche Sprache. Auch wenn die schwarzen Locken kurz geschnitten waren, so war es doch offensichtlich, daß es sich hier um eine Frau handelte. Sie war offensichtlich schwer verletzt und benötigte dringend die erfahrenen Hände eines Heilers. Behutsam hob er sie auf und trug sie zurück in das Lager.

 ***
"Mein Schwert..., verdammt, was haben diese Hunde mit meinem Schwert gemacht?"

Tarán drehte sich verblüfft um und sah zu der jungen Frau, die halb aufgestützt versuchte, sich aufzurichten. Es war offensichtlich keine gewöhnliche Frau, nicht genug damit, daß sie Männerkleidung trug, sie konnte auch fluchen wie ein alter Krieger.

"Nicht bewegen! Du bist schwer verletzt...Hier trink das, das wird Dir gegen die Schmerzen helfen."

Die junge Frau nahm den Becher mit dem Whiskey dankbar an und stürzte ihn herunter wie Traubensaft.

Tarán sah sie immer erstaunter an er konnte nicht verhindern, daß er schmunzelte: "Nun ja, wer weiß, vielleicht bist  du ja auch an diese Art von Medizin gewöhnt ...."

Als er die Schmerzen in ihrem Gesicht sah, beruhigte er sie jedoch:
"Ich habe einen meiner Freunde aus unserem Clan in das nächste Dorf geschickt, dessen Heiler auf unserer Seite ist, es wird nicht lange dauern, hoffe ich..."

"Ihr müßt mein Schwert zurückholen..."

"Bist du sicher, daß du ein Schwert halten kannst?" Tarán wußte nicht wieso, aber irgendetwas an ihr forderte ihn zum Widerspruch heraus.

"Wenn du mir die Gelegenheit gibst, werde ich es dir beweisen, sobald ich wieder auf meinen beiden Beinen stehen kann." Ihre Augen funkelten, als sie ihm die Worte entgegenschleuderte.

"Ich bezweifle, daß das bald sein wird. Einige Wunden müßten dringend genäht werden..." Er zerstampfte einige schmerzstillende Kräuter in einem Mörser,  tränkte ein Tuch mit der Mischung und legte den Umschlag vorsichtig auf die Wunden ,die er vorher mit dem hochprozentigen Alkohol gereinigt hatte. Sie zuckte nur kurz zusammen, als das Tuch ihre Haut berührte.
Als sich Tarán kurz von ihr abwandte, war ihre Stimme plötzlich leise, als sie flüsterte: "Einige Wunden können wohl nicht mehr heilen, auch die Männerkleidung hat mich nicht davor bewahrt..." Nur kurz berührten ihre Hände ihren Unterleib und sie wischte sich heimlich eine Träne aus dem Augenwinkel.

***
"Halt! Faß' die Schlange nicht an, laß' sie dort, wo sie ist..."
"Du bist heute wieder ungemein freundlich, Tarán!" Silvermoon umklammerte den Schlangengriff des Schwertes noch fester und drehte sich abrupt um, um Tarán eine passende Antwort entgegenzuschleudern.

"Meinst du, Rodran soll mich nicht anfassen, um mir beim Schleifen des Schwertes zu helfen, oder hast du etwas dagegen, daß ich versuche, deinen Zweihänder wieder auf Vordermann zu bringen?" Als ihr Blick auf Tarán fiel, ließ sie jedoch plötzlich den Schleifstein sinken und brach in Gelächter aus, als sie sah, daß tatsächlich eine braune Schlange ihren Weg in das Lager gefunden hatte.

Nachdem Silvermoon vor einigen Wochen schwer verletzt zu ihnen gestoßen war, machte ihre Heilung jedoch schnelle Fortschritte und es dauerte nicht lange, bis sie fast eine von ihnen wurde. Das Geheimnis ihrer Herkunft war jedoch ein Geheimnis geblieben. Tarán's Freunde schätzten sie sehr. Schnell merkten sie, daß sie mit ihren Worten genauso geschickt war wie mit ihrem Schwert. Sie machte sich nützlich wo sie nur konnte, war ein guter Gesellschafter, wenn es darum ging, abends am Lagerfeuer den Metbecher zu leeren, sie kannte Trinklieder, die selbst manche der alteingesessenen Veteranen in Verlegenheit brachten, aber war genauso geschickt darin, die Lederhemden des Ravenclans zu flicken, und die Schwerter zu schleifen, wenn der Clan wieder einmal in ein Scharmützel mit den Soldaten König Shintar's geraten waren.
Die Lebensmittel und das Gold, das sie erbeuteten, verteilten sie zum größten Teil an die armer Dorfbewohner, die unter der Geißel der Schergen König Shintar's litten. Die Augen der alten Frauen, der Kinder und der Männer in den Dörfern leuchteten jedesmal auf, wenn sich die schlanke Gestalt in der braunen Lederkleidung des Ravenclans in der Dämmerung zu ihnen schlich und ihnen die Ausbeute ihrer Beutezüge überbrachte.

Wenn auch der eine oder andere des Ravenclans Silvermoon mit einem manchmal mehr als kameradschaftlichem Blick musterte, so schien Tarán jedoch mit der Zeit vollkommen vergessen zu haben, daß sie eine Frau war, wozu die Männerkleidung, die sie trug, und die manchmal scherzhaften derben Streitereien mit ihm ein übriges taten.

Jetzt jedoch sah Silvermoon fast erschreckt hinüber zu Tarán. So hatter sie ihn noch nicht erlebt.
Tarán umklammerte zornig Rondrák's Hand, so daß dessen Schwert auf den Boden fiel, mit dem er den Schlangenkörper nur um einen Bruchteil verfehlt hatte. Noch zorniger wurde er, als er sah, welche Beute er mit seiner Armbrust geschossen hatte:

"Du hast einen Adler getötet?  Habt ihr vergessen, seit wievielen Jahre wir in den Wäldern leben, ohne daß es unseren Feinden gelungen ist, uns zu stellen? Mir scheint, wir sollten uns daran erinnern, wer uns die ganzen Jahre über geschützt hat."

"Du hast Recht, Tarán. Wir sollten Silvermoon von den Anfängen unseres Clanlebens erzählen," sagte Mirtak und versuchte Tarán ans Feuer zu ziehen.
Silvermoon kniete sich neben das Feuer, ihr Gesichtsausdruck war undurchdringlich, aber aller Spott war aus ihrem Gesicht verschwunden, als sie Taráns Worten lauschte.

"Die Tiere des Waldes sind immer unsere Verbündeten gewesen. Denkt nur an den Adler, der uns auf unseren Wegen durch die Wälder begleitet hat und uns den Weg aus manchen undurchdringlichen dichtbewachsenen Hügeln und Dickicht gewiesen hat. Und erinnert ihr euch nicht mehr an den Tag als wir halbverdurstet durch das Wüstengebiet im Osten gezogen sind, als wir auf diese seltsame Schlange gestoßen sind, die sich uter dem Felsgestein versteckt hatte? Ich habe sie nicht getötet damals, sondern begonnen, an der Stelle zu graben, so daß ich eine unterirdische Quelle freigelegt hatte..."

"Oder denkt nur an das Wolfsrudel, das plötzlich in der Nacht aufgetaucht ist und Shirtak's Soldaten von unserem Lager abgelenkt hat..." erinnerte sich jetzt Mirtak.

Und so ging es immer weiter. Schließlich hatte fast jeder des Ravenclans eine Geschichte zu erzählen, wie die Bewohner des Waldes ihnen geholfen hatte.

Plötzlich wurde Tarán's Stimme leise und geheimnisvoll:

"Es sind nicht immer nur Tiere gewesen, die uns geholfen haben. Ich habe euch nie von meinem Erlebnis mit der Drachenreiterin erzählt. Mein Erlebnis ist schon so lange her, aber in letzter Zeit träume ich immer wieder von ihr."

Und da erzählte er dem Ravenclan von seinen Träumen, aber auch davon, daß er nie gewußt hatte, wieviel von seinem Erlebnis vor vielen Jahren wahr und wieviel er nur geträumt hatte.

".. obwohl ich nie weiß, ob ich es wirklich so erlebt habe, so kann ich mich doch jetzt noch fast an die heiße Berührung ihrer Lippen und an den Duft ihrer Haut erinnern ... ich kann sie einfach nicht vergessen ...seit damals bin ich auf der Suche nach ihr."

Niemand bemerkte den fast sehnsüchtigen Blick, mit dem Silvermoon Tarán heimlich musterte.

***

"He, Tarán, weißt du, was sich die Dorfleute erzählen? Heute nachmittag soll ein Reitertrupp die neue Braut König Shirtak's hier durch unseren Wald zu ihm in die Burg bringen.  Ich bin sicher, außer einer zarten Jungfrau wird er auch einige reichgefüllte Schatzkisten mit sich führen..."

Rondrák grinste und öffnete den Beutel, den er aus dem Dorf mitgebracht hatte.

"Heute war Markttag im Dorf, und ich habe auch einige nützliche Sachen mitgebracht."

Während er Pelze, Lederzeug, neue Sehnen für die Bögen und einige Töpfe aus dem großen Beutel holte, begutachtete Silvermoon seine Einkäufe und sah zu Tarán, der sich ihnen schmunzelnd näherte: "Da magst du Recht haben. Das könnte in der Tat eine lohnende Beute sein. Aber wir sollten uns erst ansehen, wie gut sie bewacht wird."

"Ich wußte nicht, daß du auf Jungfrauen stehst, Tarán." sagte Silvermoon mit einem spöttischen Grinsen, "Ich dachte, dir wären die erfahrenen Schankmädchen aus dem Dorfe etwas lieber."

Tarán stieß Silvermoon in die Seite und grinste zurück: "Kommt ganz drauf an, mein Freund, kommt ganz drauf an. Aber ich meine, wir sollten sie nicht gleich zu Tode erschrecken. Wenn wir eine oder zwei Schatztruhen stehlen können, wäre ich schon zufrieden. Wir müssen die Braut ja nicht auch gleich mitnehmen."

Manchmal schien Tarán wirklich zu vergessen, daß Silvermoon eine Frau war. Wenn sie jedoch die männliche Anrede bemerkt hatte, so ließ sie nichts davon merken.

Silvermoon zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen: "Du solltest die Soldaten König Shirtak's nicht unterschätzen. Ich werde auf jeden Fall mit euch kommen."

"Es freut mich, daß du so um meine Sicherheit besorgt bist."

"Nun ja, Tarán, jemand muß ja auf dich aufpassen ,wenn du es nicht tust.." rief Silvermoon aus und sprang gerade noch rechtzeitig vor, um Tarán festzuhalten, der fast über einen der Töpfe gestolpert wäre, die Rondrák etwas achtlos auf der Erde verteilt hatte.

***

"Das ist in der Tat ein stattlicher Haufen..." murmelte Rondrák, der neben Tarán und Silvermoon auf der Erde lag und durch das dünner werdende Gestrüpp auf den Reitertrupp blickte, der dort langsam über den Waldweg zog.

Tarán flüsterte: "Ich glaube, wir suchen vergeblich nach der Braut, bisher haben ich noch nicht die Sänfte gesehen, auf der die königlichen Bräute normalerweise reisen..."

"Hm, mir scheint, du bist wirklich blind, Tarán. Du solltest besser hinsehen," schmunzelte Silvermoon. "Ich fürchte, daß du es nicht so leicht haben wirst, diese Jungfrau zu bezwingen." Sie wies auf die königliche Gestalt in der Mitte des Reitertruppes, die hochaufgerichtet auf einem stattlichen Hengst ritt, von schwerbewaffneten Soldaten umringt.

"Diese Amazone ist König Shirtak's Braut? Was sagst du dazu, Tarán?... Tarán ...? Beim Herrscher der vier Wälder, Tarán, leg dich zurück auf den Boden..." Rondrak sah entgeistert zu dem Anführer des Ravenclans, der aufgestanden, einige Meter vor ihnen an einem Felsvorsprung lehnte, und mit einem Gesichtsausdruck, den er niemals zuvor an ihm gesehen hatte, hinunter auf die Menschenmenge blickte.

Taráns glaubte, niemals in seinem Leben eine schönere und sinnlichere Frau gesehen zu haben. Er fühlte, wie seine Lenden hart wurden und er sehnte sich danach seine Hände über die knisternde Flut der braunen Locken fahren zu lassen und mit seiner Zunge diese sinnlichen Lippen zu erforschen. Er wollte ihr die goldenen Armreifen, die ihre Oberarme umspannten, abstreifen, ihr das enge Oberteil, das ihre straffen Brüste umspannte, vom Körper reißen und ihre glänzende, braune Haut mit seinem ganzen Körper erforschen.

Seltsamerweise drehte sie in genau diesem Augenblick ihren Kopf, und er könnte schwören, daß sie ihn gesehen hatte. Ein seltsames Lächeln umspielte ihre Lippen, es sah fast wie eine Einladung aus, aber Sekunden später hatte sie den Kopf wieder nach vorne gerichtet und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Weg vor ihnen.
Ihr Blick entzündete ein Feuer in Tarán's Körper.

Er flüsterte: "Sie wird mein sein, und wenn es das letzte ist, was ich in diesem Leben vollbringe werde..."

 ***

Plötzlich war ein großer Tumult auf dem Weg vor ihnen. Eine schöne Stute tänzelte auf dem Waldboden vor dem Reitertrupp, bewegte sich aufreizend, fast wie eine Frau, schob dem Leithengst aufreizend ihre beiden Hinterbacken in die Reichweite seiner Nüstern und wieherte laut. Es war deutlich zu sehen, daß sie rossig war. Der Leithengst war der erste, der sich aufbäumte und aus der Reihe ausbrach, sein Reiter landete unsanft auf dem Waldboden. Das Reittier von Shirtak's Braut war das nächste, das versuchte, sich aus der Reihe zu lösen, aber ihr gelang es noch am längsten, sich auf seinem Rücken zu halten, ganz im Gegenteil zu ihren Leibwächtern.

Rondrák, der inzwischen bei Tarán angekommen war, konnte sich ein Lachen nicht verkneifen als er auf den Tumult hinunterblickte und besonders auf die Reiter, die verzweifelt versuchten, ihre Pferde wieder einzufangen:.

"Pferde sind doch nicht anders als Menschen, wenn es um einen prallen Hintern geht... Ich habe selten eine rossigere Stute und wildere Hengste gesehen..."

Tarán flüsterte:

"Ich sehe noch etwas anderes..." Er sah zu einem breiten Ledersack, der von einem Pferderücken gefallen war und halb aufgerissen auf dem Waldboden lag, so daß ein paar Goldmünzen im Dämmerlicht aufblitzten.

Dann drehte er sich um und grinste Rondrák an:

"Ich dachte, diese Bemerkung wäre von Silvermoon gekommen. Wo ist sie?"

Genau in diesem Augenblick schob sich eine Wolke vor die schon tiefstehende Sonne, so daß auf dem Waldweg vor ihnen fast vollständige Dunkelheit herrschte, wozu das dichte Laubwerk der Bäume ein übriges beitrug.

"Die Gelegenheit ist günstig... komm' folge mir, Rondrák."

Im Dämmerlicht schlichen sie sich den Abhang hinunter. Als Tarán schließlich bei dem Sack mit den Goldmünzen angekommen war, legte sich plötzlich ein Schwert an seine Kehle.

"Keinen Schritt weiter, Krieger." flüsterte eine Frauenstimme.

Tarán fühlte einen unverkennbar weiblichen Körper hinter sich, roch den schwachen Geruch der Lederkleidung und erschauerte als eine Hand über seine Hüfte strich.

Die Stimme lachte leise.

"Es wäre doch schade um so einen so gutgebauten Krieger. Nun gut, ich habe nichts gesehen. Nehmt das Gold, aber versprich mir eins...sei nächste Woche noch vor Sonnenuntergang dort hinten auf der Waldlichtung, ich möchte dich gerne bei Tageslicht betrachten."

Dann löste sie sich von ihm.

Als Tarán gerade versuchte, den Sack mit den Goldmünzen zusammenzuraffen, fühlte er wieder einen weiblichen Körper hinter sich. War sie zurückgekehrt? Noch immer konnte er im Dämmerlicht kein Gesicht erkennen. Ihr Geruch schien ihm vertraut und noch mehr der wilde Kuß, der heiß und feurig schmeckte, wie der Kuß der Drachenreiterin aus seinen Träumen.

***

Im Lager des Ravenclans war schließlich Ruhe eingekehrt.
Tarán schlief, und nur hin und wieder warf der Schein des ersterbenden Feuers ein paar Lichtreflexe auf sein Gesicht. Ein Schatten näherte sich ihm. Silvermoon beugte sich zu ihm hinunter und sah ihn mit einem seltsamen fast sehnsüchtigen Ausdruck an. Federleicht strich sie mit einem Finger ihrer Hand über sein Gesicht, ihr Finger folgte zärtlich den Konturen seiner Augenbrauen, seiner Nase und seines leicht geöffneten Mundes.

Dann drehte sie sich abrupt um, legte die Hand an ihr Schwert und nahm wieder ihren Wachtposten vor dem Feuer ein.

***

Tarán stöhnte auf, als sich ihre Beine um seine Hüften schlangen. Ihre Bewegungen waren wild und fordernd und drängten ihn schnell seinem Höhepunkt entgegen.
Doch als Tarán sie jetzt ansah, erschrak er fast vor dem kalten Funkeln in ihren Augen.

Silvermoon's Augen hatten einen seltsamen Ausdruck, als sie den beiden aus ihrem Versteck bei ihrem Liebesspiel auf der Lichtung zusah. Aber ihre Augen waren überall.

"So ein Narr", zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen, "Ich wußte, daß man ihr nicht trauen konnte. Man sollte den Anführer des Ravenclans wirklich nicht alleine bei einbrechender Dämmerung in den Wald lassen." Sie fühlte, daß die Gefahr nahte, noch bevor sie die Waffen und Rüstungen der Wachen König Shirtak's durch die Bäume blitzen sah.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie ihr Pferd auf die Lichtung getrieben und Tarán eine Decke und ein Schwert zugeworfen.

"Spring' auf! Shirtak's Armee ist uns auf den Fersen!" rief sie ihm zu.
Taráns Überlebensinstinkt und die vertraute Stimme von Silvermoon rissen ihn aus der langsam abklingenden erotischen Extase.

"Es tut mir außerordentlich leid, dir vielleicht eine andere Art von Höhepunkt bescheren zu müssen, aber ich hatte leider keine andere Wahl!" rief Silvermoon, als sie fühlte, wie sich Tarán an ihr festklammerte, als er hinter ihr auf das Pferd gesprungen war und sie im Galopp davonritten.

Da hörte sie einen unterdrückten Schmerzenslaut und fühlte, wie Tarán's Körper gegen ihren Rücken sackte. Als sie sich umdrehte, sah sie noch den Pfeil, der in Tarán's Schulter steckte und den Blutfleck, der die Decke rot färbte, die er übergeworfen hatte, bevor sie im gestreckten Galopp im dichten Gebüsch verschwanden.

***

"Es wird nicht mehr lange dauern, bis Shirtak's Wachen uns hier aufgespürt haben," flüsterte Tarán.

Seine Gesichtszüge war erschöpft, aber er entspannte sich wieder ein wenig, als er fühlte, wie Silvermoon's Hände geschickt seinen Arm abtasteten und verbanden. Die ungewohnte körperliche Nähe zu Silvermoon verwirrte ihn zwar, aber sie hatte trotzdem etwas beruhigendes für ihn.

"Psst, du solltest nicht soviel reden, du alter Dummkopf. Du hast wirklich noch Glück gehabt, der Pfeil hat deinen Arm nur gestreift, die Wunde ist nicht so tief."

Nachdem Silvermoon im Lager Alarm geschlagen und einige Heilsalben und Verbandszeug geholt hatte, war sie mit Tarán in diese Höhle geritten, um ihn besser versorgen zu können.

"Verdammt, ich hasse es, hilflos hier zu liegen. Ich sollte auf dem Pferd reiten und gegen Shirtak's Soldaten ziehen. Wo ist mein Schwert....?"

Silvermoon mußte gegen ihren Willen schmunzeln.

"Ich erinnere mich nur an eine Situation vor einigen Monaten. Ich könnte dich jetzt fragen, ob du wirklich meinst, daß du ein Schwert halten kannst."

Aber ihr Gesichtszüge wurden plötzlich weich.

"Endlich kann ich mich für das, was du für mich getan hast bei dir bedanken. Du hast mir das Leben gerettet..." Nach einer kurzen Zeit fügte sie leise hinzu:
"Obwohl das, was diese Hunde mir damals angetan haben, eine größere Wunde bei mir hinterlassen hat..."

Silvermoon zuckte leicht zusammen, als sie Tarán's Berührung auf ihrem Arm spürte, der sie mit einer ihr bisher unbekannten Zärtlichkeit streichelte.

"Du hast mir nie erzählt, wer du warst, bevor du zu uns gekommen bist." Taráns Augen waren voller Neugier.

"Ach, Tarán. Das ist nicht wichtig.  Wichtig ist nur, daß wir dich und unsere Freunde retten können..." Silvermoon beugte sich etwas über ihn, um seinen Verband zu prüfen, da sah Tarán plötzlich, daß Silvermoon ein Lederband mit einem Anhänger, den er noch nie bei ihr gesehen hatte, um den Hals trug.

"Was ist das, Silvermoon?" Tarán streckte seine Hand danach aus.

"Ach gar nichts..." Silvermoon versuchte sich wegzudrehen, aber Tarán's Hand seines unverletzten Armes war noch stark genug, um sie festzuhalten.
Sein Blick fiel staunend auf das Amulett, in dem ein kompliziertes Muster eingeritzt war. In dem verschlungenen Knotenmuster waren eine Schlange und ein Adler verwoben. Doch genau in der Mitte des Amulettes war die eindrucksvolle Abbildung eines feuerspeienden Drachens zu sehen.

"Ich glaube, ich war ein Dummkopf, oder bald weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Ich glaubte, in Shirtak's Braut einen Hauch der Schönheit der Drachenreiterin aus meinen Träumen zu sehen und ihr Kuß auf dem Waldweg war so wild, so voller Feuer und Leidenschaft, daß ich alle Vorsicht vergessen hatte. Und jetzt trägst du ein Amulett mit einem feuerspeienden Drachen?"

Da blitzte in Silvermoon's Gesicht wieder der gewohnte Schalk auf:

"Ihr Männer seid manchmal blind, sobald ihr nichts mehr sehen könnt. Die Augen eures Herzens sind dann sofort geschlossen. Sobald jemand das Licht gelöscht hat, denkt ihr nur noch mit euren Körperteilen, auf die ihr manchmal so stolz seid. Bist du dir eigentlich ganz sicher, daß es Shirtak's Braut war, die dich auf dem Waldweg geküßt hat? Nachdem sie ihre Einladung ausgesprochen hatte, hätte sich dir ja auch jemand anderes nähern können... Oder hast du etwa ihr Gesicht gesehen, als sie dich geküßt hat?"

In Taráns Augen stand eine so große Verwunderung und Verwirrung, daß Silvermoon leise lachte.

"Ich glaube, du bist mir eine Erklärung schuldig, Kriegerin Silvermoon. Aber es  wird sicher einfach sein, herauszufinden, wer mich geküßt hat."

Bevor sie sich wehren konnte, hatte Tarán sie an sich gezogen und küßte sie so, daß sie fast keinen Atem mehr bekam. Der Kuß war tief und leidenschaftlich und entzündete eine wilde Glut in ihren Körpern. Silvermoon seufzte leise, aber Tarán ließ sie so schnell los, wie er sie in seine Arme gezogen hatte.

"Nein, zuerst mußt du mir alles über dich erzählen. Jetzt wirst du keine Ausflüchte mehr machen. Ich habe das Gefühl, daß du mir mehr als einmal das Leben gerettet hast und jetzt möchte ich alles über dich wissen..."
"..vorher lasse ich dich nicht mehr los." fügte er hinzu, als er sie schnell wieder in seine Arme zog.

"Nun gut, Tarán. Da du ja schon mein Amulett gesehen hast, sollst du auch mein Geheimnis erfahren. Das Amulett ist das Sinnbild der Gilde der Wandler, der ich einst angehörte.Wir lebten in tiefer Verbundenheit mit allen Tieren des Waldes, brachten jedem Tier und jeder Pflanze Respekt dar. Wir verstanden die Sprache des Waldes und konnten die Gestalt jedes Tieres und jeder Pflanze annehmen. Einige von uns standen sogar mit den mächtigsten Tieren der Welt, den wilden Drachen, in engem Kontakt.  Wo immer sie sich auch befanden, wir konnten sie rufen, einige von uns beherrschten die Drachenlieder, um sie zu rufen, sobald wir ihre Hilfe brauchten. Auch ich war einst eine Drachensängerin.
Auch als Drachensängerin habe ich dich das erste mal gesehen, als du von einem dieser Tiere angegriffen wurdest. Schon damals verliebte ich mich in dich, in deinen Körper und so habe ich dich vor dem Drachen gerettet. Dein Körper und dein Kuß erregten mich schon damals, aber ich wußte, daß die Zeit damals noch nicht reif war, daß ich dich so als Menschen kennenlernen sollte. In den folgenden Jahren war ich immer bei dir, ich beobachtete, wie du aus einigen wilden Bauern den Ravenclan machtest und gegen König Shirtak rebelliertest. Ich war damals immer an eurer Seite, entweder als Schlange, als Adler oder als einer der vielen anderen Tiere, die euch in der Zeit beschützten. Nachdem viele Jahre vergangen waren, wolle ich nicht mehr nur eure Beschützerin aus der Ferne sein, ich wollte selbst unter euch leben. Aber auch wir von der Gilde der Wandler sind nicht unverwundbar und so schien mein Plan fast fehlzuschlagen, als ich damals im Wald von den Soldaten König Shirtak's überfallen und vergewaltigt wurde. Sie hatten trotz meiner Männerkleidung schnell herausgefunden, wer ich in Wirklichkeit war.

Die Vergewaltigung ist bei uns das schlimmste Verbrechen, was uns angetan werden kann. Unseren Körper mit Gewalt zu nehmen ist gleichbedeutend damit, ihm seiner Macht zu berauben, so daß wir nur noch ein Mensch sind, aber unserer Kräfte der Verwandlung beraubt. Aber ich fühlte mich wohl bei euch und wollte euch weiter soweit helfen, wie ich es vermochte. Nach einiger Zeit wagte ich es, an die Stelle zu gehen, an der ich damals überfallen wurde, und wirklich fand ich dort das Amulett, das ich damals dort verloren hatte. Seitdem trug ich es manchmal, weil es mich an die Zeit erinnerte, als ich euch noch auf eine andere Art helfen konnte. Vielleicht habe ich nicht wirklich alle meine Kräfte verloren, denn damals im Wald muß es mir ja auch irgendwie gelungen sein, die Stute zu rufen, die Shirtak's Brautzug so in Verwirrung gesetzt hat..."

"Vielleicht warst du sie selbst, du kleine Hexe..." Tarán drückte ihr einen zarten Kuß auf das Ohr. "Nicht zu fassen, daß die wunderschöne Drachensängerin und die wilde Kriegerin Silvermoon ein und dieselbe Person sind...Aber ich glaube auch nicht, daß deine Kräfte dich jemals ganz verlassen haben."

"Es gibt einen Zauber, der mich vielleicht wieder heilen könnte..." flüsterte Silvermoon leise, "die Gewalt, die mir angetan wurde, kann manchmal durch die Liebe wieder geheilt werden."

Tarán liebte sie so zärtlich und liebevoll, wie er es vermochte und was er mit Silvermoon erlebte, unterschied sich so vollkommen von allem, was er je mit einer Frau erlebt hatte, daß es eine Saite in ihm zum Klingen brachte, von der er bisher nicht gewußt hatte, daß sie überhaupt existierte. Silvermoon war so zärtlich, daß es ihn fast zu Tränen rührte.

Plötzlich riß sie Schlachtenlärm ganz in der Nähe aus ihrer Umarmung.

"Bei allen Göttern des Waldes, unser Ravenclan ist auf König Shirtak's Soldaten gestoßen, und ich kann nichts tun... oder doch... komm her." Tarán zog sie an den Höhleneingang. "Kannst du dich noch an den Drachengesang erinnern, Silvermoon?"

"Ich weiß nicht, Tarán. Es ist schon so lange her...."
Doch plötzlich erklang in der Höhle ein leiser Ton, der von den Wänden zurückgeworfen wurde, so daß er bald die ganze Höhle mit einem leisen Vibrieren erfüllte. Darauf folgten weitere Töne, die um die anderen Töne tanzten, mit ihnen spielten, ihnen Leben einhauchten und einen dichten Klangteppich woben. Tarán stand voller Staunen am Höhleneingang, bald jedoch mischte sich ein tiefer Ton unter die hellen Töne von Silvermoon. Tarán fiel in ihren Gesang ein und ließ sich von den Tönen davontragen.

Er hörte das Flügelrauschen noch bevor er den Drachen am Himmel sah.
Als der Drachen vor ihnen aufsetzte und sein Blick auf Silvermoon traf, sah er die Tränen in Silvermoon's Augen.

Nichts an ihm erschien ihm mehr bedrohlich. Der schuppige Körper glänzte wunderschön im Mondlicht und aus seinen Augen leuchtete gleichzeitig Weisheit und Wildheit. Tarán's Arm schmerzte noch, aber er merkte, wie die Heilsalben und Silvermoon's Zärtlichkeiten ihre Wirkung zeigten. Gemeinsam stiegen sie auf den starken schlangengleichen Körper. Auf ein Zeichen Silvermoon's erhob er sich wieder in die Lüfte und Tarán unterdrückte einen Siegesschrei, als eine Flammenzunge aus dem Maul des Drachen direkt auf König Shirtak's Heer zuschoß.

(c) Antje Grüger, Silbermond, 2000