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“Da! Schau dir an, was du angerichtet hast!” Der Angesprochene kaute in aller Ruhe genüßlich auf seinem Strohhalm herum und schenkte der zeternden und wutschnaubenden Witzfigur neben ihm keinerlei Beachtung. Statt dessen betrachtete er sich gründlich seine Fingernägel und schüttelte unzufrieden den Kopf. Die haben auch mal wieder ‘ne kleine Maniküre nötig, dachte er. “Häy!
Ich red’ mit dir, du... du Tier!” Die Witzfigur trat mit
aller Kraft gegen das Bein seines unaufmerksamen Gesprächspartners. Nur
einen Augenblick später hüpfte sie wie irre auf einem Bein über die Wiese
hin und her und hielt sich gleichzeitig mit beiden Händen krampfhaft den
anderen Fuß, heulte und jammerte dabei wie ein bei Kälte und Gewitter
ausgesetzter Hund. Der Getretene jedoch beschäftigte sich ungeachtet dessen
weiterhin mit seinen Fingernägeln. Nachdem das Gewinsel der Witzfigur endlich nachgelassen hatte, spuckte er den Strohhalm - der übrigens eine junge Birke war - aus, ließ seine Fingernägel Fingernägel sein und wandt sich dem jammernden Elend, das sich noch immer den Fuß hielt, zu. “Warum soll ich da jetzt eigentlich dran schuld sein? Ich hab dich nicht dazu eingeladen, mir deinen lächerlichen Speer in den Bauch zu jagen... das war allein deine Entscheidung! Und ich hab dich sogar noch gewarnt!” Er besah sich die traurigen Überreste des Speeres, die nur noch aus einigen verkohlten Holzsplittern und einem Klumpen geschmolzenen Eisens bestanden, umringt von angesengten und größtenteils zu Asche verwandelten Grashalmen. “Und deine mickrige Waffe war dafür sowieso denkbar ungeeignet...” “Das hättest Du aber nicht tun dürfen!” “Nicht tun dürfen? Nur weil du es so willst?” Die Witzfigur ließ sich langsam ins Gras sinken und tauchte ihren schmerzenden Fuß ins Wasser des nahen Sees. “Ja, ‘türlich.” “Was ist daran natürlich?” “Na, ich bin ein Heiliger und du nur ein Drache. Liegt doch auf der Hand...” “Ein Heiliger?? Du??!?” Der Drache lachte so laut, daß die umstehenden Bäume sich wie im Orkan bogen und das nahe Wasser ans andere Seeufer gedrängt wurde. Ein dabei versehentlich abgegebener Feuerstrahl verfehlte den Heiligen nur um Haaresbreite. Dieser traute sich erst mehrere Minuten nachdem der Drache sich schon längst wieder beruhigt hatte hinter dem niedrigen Felsen hervor, hinter den er geflüchtet war. “Na ja...”, begann er schließlich kleinlaut, “noch hab’ ich’s nicht ganz geschafft... Aber wenn ich dich vorhin getötet hätte...” Der Drache konnte sich sein Grinsen beim besten Willen nicht verkneifen. Das hatte allerdings zur Folge, daß sich die Witzfigur wieder hinter den Felsen verzog... Warum reagieren bloß immer alle auf die gleiche Weise, wenn ich mal grinse...? dachte er. “So wie du dich bisher angestellt hast, sieht die ganze Sache aber nicht sehr erfolgversprechend für dich aus..., Drachentöter.” Dem
Menschen mit dem schmerzenden Fuß war der ironische Blick des Drachen
nicht entgangen, sofern man so etwas bei einem Drachen feststellen kann.
Langsam linste er hinter dem Felsen hervor. Als er sich einigermaßen sicher
war, daß der Drache nicht über ihn herfallen würde, näherte er sich ihm
wieder vorsichtig. “So? Der Heilige Georg...?” Der Drache sah seinen Gegenüber belustigt an. “Also in meinem Fall wird da wohl nichts mehr draus; dein Speer ist kaputt, und ohne Waffe wirkt das sowieso alles unglaubwürdig.” Und nach einer kurzen Pause murmelte er: “Mit diesem Witz von Speer allerdings auch...” “Das ist doch vollkommen wurscht! Die Leute glauben einem alles. ...wenn man nur irgendwas von der Kraft Gottes murmelt..., das reicht schon.” “Meinst
du?” - Georg nickte, zwar unsicher, aber er nickte - “Da könntest du vielleicht
sogar recht haben...” Der Drache überlegte eine Weile, dann kam ihm eine
Idee... - er lachte innerlich. “Ehrlich?” Georg war wirklich überrascht. Er hätte eher mit weiteren Lachtiraden gerechnet, als mit einem Hilfsangebot. Doch ein neuerliches Grinsen des Drachen ließ ihn abermals unsicher werden. Das Grinsen eines Drachen konnte wirklich bedrohlich wirken. Zumindest auf Nicht-Drachen. “Ja. Paß auf...” *** Gegen Abend näherte sich ein stolzer Mann auf seinem Pferd der Königsstadt. Wenn man genauer hinschaute, konnte man in ihm Georg erkennen. Doch hinter ihm war noch etwas. Es schien sich bereitwillig von Georg mitschleifen zu lassen. Dieses Etwas hatte eine merkwürdige Form. Wie die eines großen, schlangenähnlichen Tieres. Mit Flügeln. Es waren jedoch ziemlich kleine Flügel. Das Tier trug eine dicke Schlinge um den Hals, an dem Georg es hinter sich her zog. Noch
während er die Stadt betrat umringten ihn Dutzende von Menschen; alle
waren sie gekommen, das wundersame Tier zu sehen. Kaum einer war dabei,
der das Tier nicht als den lange gefürchteten Drachen erkannte, dem sie
schon über Jahre hinweg Schaf um Schaf geopfert hatten, damit er ihre
Stadt verschone. “Bleibt hier und habt keine Angst!” Und Georg sprach seine inzwischen berühmten Worte: “Denn mich hat Jesus Christus zu euch her gesandt, daß ich euch erledige von dem Drachen. Darum glaubet an Gott, und empfanget die Tauf! Tut ihr das, so schlag ich den Drachen zu Tode.” Gut geübt, Georgie, dachte jemand weit weg im Hintergrund... “Ja,
das wollen wir gerne tun”, schrie da die Menge. Schließlich jubelte ihm die Menge zu und ließ ihn hochleben. * Hah! Das war ja glatte Erpressung! dachte wieder dieser Jemand weit weg im Hintergrund. Aber mir kann’s recht sein, Hauptsache ich werd’ nicht mehr alle paar Wochen von so ‘nem blöden Möchtegern- Drachentöter belästigt. Jemand lachte innerlich - und dennoch schallend! Ich hoffe nur, daß Georgie dran denkt, die Strohpuppe wegzuräumen, bevor es wieder hell wird... © Moordrache, 2000 |
Hintergrund |
Na ja, was soll
ich über mich selbst sagen: ich bin ein durchschnittlicher Moordrache
aus dem Drachental (in dem es von Drachen nur so wimmelt *g*), der sich
schlicht "Moordrache" nennt, weil sich eh kaum jemand meinen richtigen
Namen merken könnte ;-). Diese Geschichte hier schrieb ich so auf, wie sie mir ein Bekannter von mir (der in der Geschichte übrigens vorkommt!) geschildert hat. Ich habe keinen Grund, dies als reine Erfindung anzusehen, deshalb spiegelt diese Geschichte also eine wahre Begebenheit wider... ;-) |