(c) Heiko Herbert Hoelzel, 2000



Das kalte Licht des vollen Mondes brach durch die dichten schwarzen Wolken, als der schrille, menschliche Schrei einer kristallklaren Stimme die bleierne Stille des Waldes zerriss. Es war heutzutage selten, das sich Menschen in den Wald der tausend Träume wagten, seit vagabundierenden Orktruppen jenen einst so friedliche Forst eroberten, die dort ansässigen, friedliebenden Elfen vor der Verheerung in die Ebenen jenseits des Rabengebirges geflohen waren.

Lord Wolf hatte gerade sein Streitross für einen kleinen Ausritt aus seinem Stall geführt, als jener ängstliche Schrei seine Aufmerksamkeit erregte. Ohne Zögern schwang er sich auf seinen unruhigen Rappen, der in wilder Vorfreude auf einen der viel zu seltenen Gelegenheiten aus seinem Stall zu kommen, nervös über den Vorhof der gigantischen Burg stampfte. Ein kurzer Schenkeldruck und schon flog der Hengst zwischen dem mächtigen eisenbeschlagenen Flügeln des Burgtors hindurch, sprengte über die alte Zugbrücke und eilte dem dichten Wald entgegen, der die Burg Wolfgard nach Norden mit seinen schillernd grünen Krallen umschloss.
In früheren Zeiten war diese riesige, aus schwarzem Basalt gebaute Burg, die auf einer kleinen Anhöhe stand, wie eine Insel in einem scheinbar unendlichen, wogenden Meer aus Bäumen gewesen. Lord Wolf vermisste den Anblick dieses tiefgrünen Meeres, das einst jeden Herbst in tausend lebendigen Farben erstrahlte. Doch die Jahrhunderte hatten den Wald schwinden lassen. Es schien, als ob mit dem Verschwinden der Elfen, die immer seltener über die Erde Goldars streiften, auch die Magie ihrer Wälder an Kraft verlor. Uralte Bäume, die den Jahrhunderten getrotzt hatten, starben langsam ohne erkennbaren Grund. Eines Tages würden die magischen Elfenwälder ganz verschwinden und zurück würden nur die gebändigten Wälder der Menschen bleiben. Gepflanzte Wälder, denen, geschaffen um Holz für die niederen Bedürfnisse der Menschen zu liefern, die lebendige Seele der himmlischen Elfenforsten fehlte.

Ein weiterer Schrei riss Wolf aus seinen in der Ferne schweifenden Gedanken. Ihm trat der scharfe Moschusgeruch von Orks in seine empfindliche Nase, vom Klang ihrer rauen rauchigen Stimmen schloss er auf ein Banner von etwa elf oder zwölf dieser stinkenden Ungeheuer, die ein junges Mädchen durch die Wälder hetzten.

Während sein Rappe mit mörderischer Geschwindigkeit durch die eng stehenden Bäume raste zog Wolf, trotz seiner fehlenden Rüstung, das schwarze Schwert seiner Blutlinie. Seit dem Beginn ihrer Herrschaft über Wolfgard trugen die Herren der Feste dieses Schwert mit seinem legendären, in ihr Heft eingelassenen Sonnenrubin. Man erzählte sich, dass diese Klinge solange ohne Fehl ihrem Herrn dienen würde, bis der Letzte der Fürsten den Weg in die düsteren Hallen von Dragnor, der Göttin des Todes, gefunden hat. Einst war das Schwert ein Geschenk des Tempels des Lichts zu Lognar an die edelste unter den Familien des Kontinents Goldar gewesen, Jahrhunderte bevor der Untergang dieses einst so stolzen Geschlechts begonnen hatte, das seinen Sitz im Rat der Paladine vor vielen Jahrzehnten eingebüßt hatte.

Die hastige Jagd seines treuen Hengstes fand ihr jähes Ende auf einer weiten mondhellen Lichtung auf deren Mitte eine Horde von elf Orkenkrieger gerüstet in rostige Kettenhemden mit gezogene gefährlich glitzernden Säbeln ein junges Mädchen umkreisten, das den Rücken an eine mächtige Eiche gelehnt, mit gezogenem Dolch vergeblich versuchte diese Unholde in Schach zu halten. Sie war gekleidet in die einfache Tracht eines Bauernmädchens, was in dieser Gegend mehr als verwunderlich war, da der nächste Bauernhof etwas mehr als drei Tagesmärsche entfernt lag. Ihre Kapuze hatte das tieferliegende Geäst der mächtigen Bäume von ihrem Haupt gestreift, so dass ihre weizenblonde Löwenmähne ungebändigt in wilden Wogen über ihre Schultern fiel. Ihre alabasterfarbene Haut war an den vollen Wangen von der Anstrengung der vergeblichen Flucht gerötet, doch ihre saphirgrünen Augen blitzten ungebrochen, zornig zwischen den goldenen Locken hervor.

Als die Orks Wolf entdecken, schien die Zeit auf der Lichtung für eine Sekunde still zu stehen. Mit der tödlichen Gelassenheit eines erfahrenen Kriegers wendete er sein Ross in Richtung der Orks und ließ es dann auf der Stelle tänzeln. Die verblüfften Orks starrten verwundert auf diesen ungerüsteten Krieger, der es wagte alleine mit einem Schwert bewaffnet, ohne Panzer oder Kettenhemd, sich einem Banner Orks in scheinbarer Gleichgütigkeit entgegenzustellen. Grölend machten sich neun von ihnen auf diesen hochmütigen Narren zur Strecke zu bringen, während die zwei anderen ihre scheinbar sichere Beute bewachten.

Gerade hatten sie die Hälfe der Strecke überquert, als der unheimliche Ritter seinem schwarzen Pferd die Sporen gab. Mit dem Ruf :"Blut und Ehre",seit Jahrhunderten das Zeichen seiner Familie stürmte Wolf auf die Orken ein. Bevor die Monster sich der Gefahr in der sie schwebten bewusst waren, lagen schon drei von ihnen im saftigen Gras der Lichtung und tränkten es mit ihrem roten Lebenssaft. Wie ein Sturm, der durch die Felder wütet, brauste Wolf durch die Reihen seiner hilflosen Feinde. Ihre kurzen Säbel waren nicht in der Lage den Reiter zu verwunden und die Schnelligkeit des Pferdes bot einen größeren Schutz als jede eherne Rüstung. Zwei kurze Schläge und schon lag ein weiterer unglücklicher Unhold im Staub. Noch in vollem Galopp wurde ein weiterer Ork unter den Hufen des Rappens niedergemäht und noch im Wenden begriffen spaltete ein kraftvoller Hieb den Schädel eines Unvorsichtigen. Während der Rest der Wesen ihr Glück in der Flucht suchte, sprengte der Hengst schon wieder in ihre Mitte und ein weiterer Flüchtender hauchte sein Leben unter der schwarzen Klinge aus.

Ohne den restlichen Abschaum zu beachten lenkte Wolf sein Pferd zu dem hübschen Mädchen, während ihre Bewacher sich langsam in Richtung Wald zurückzogen.

Das Mädchen hatte sich mittlerweile von dem ersten Schock erholt und betrachtete ihren unverhofften Retter. Er war etwa sechs Fuß groß mit langem schwarzen Haar. Seine Kleidung bestand aus einer schwarzen Lederhose und einem weichen, grauen Wildlederhemd. Trotz der bitteren Kälte der Nacht schien ihn seine leichte Kleidung doch zu wärmen. Er saß auf einem riesigen schwarzen Ross dessen schwarzer Sattel mit silbernen Nieten beschlagen war. Sein Lächeln schien die finstere Nacht zu erhellen und seine weißen ebenmäßigen Zähne funkelten wie Sterne in der Nacht. Seit Wochen war sie, im Auftrag ihres Dorfes, auf der Suche nach einem Krieger gewesen, ihnen Schutz vor den Nekromanten von Skrall bieten könnte und gerade hier, weit ab von ihrem Weg, verfolgt von Orks, hatte sie ihn gefunden.

Die Worte waren wie ein Wasserfall aus dem Mädchen herausgesprudelt, doch nun war sie, erschöpft von der Flucht in seinem Arm eingeschlafen und er spürte ihren warmen Atem an seiner Brust. Sie lagen unter der riesigen Eiche und er spürte ihren ruhigen Herzschlag. Er blickte auf das sanfte Vibrieren ihres Pulses an ihrem Hals und dachte an Xandra seine große Liebe, die er vor so langer Zeit verloren hatte. Damals hatte er die Welt verflucht, die ihm seine wahre Liebe geraubt hatte. Er hatte sich gegen seine Götter und gegen den Tempel gewandt, dem seine Familie seit unzähligen Jahren gedient hatte, er hatte alles verloren, was er geliebt hatte, weil er glaubte, das verloren zu haben, was ihm das Teuerste war. Doch nun saß hier mit einem Juwel im Arm, das dem glich, das er so früh verloren hatte.

Wieder wandte sich sein Blick dem jungen Engel an seiner Brust. Er spürte wie die Begierde in ihm wuchs, er hatte schon lange nichts mehr gegessen, genauer gesagt, seit die Elfen den Wald verlassen hatten. Langsam erhob er sich und ließ vorsichtig das junge Mädchen gegen den Stamm der Eiche gleiten.

Festen Schrittes schritt er auf seinen Rappen zu und schwang sich in den Sattel, ein kurzer Schenkeldruck und wieder stürmte der Rappen durch die Nacht. Er liebte dieses Mädchen und deshalb musste er sie verlassen. Seit jener kalten Winternacht vor unzähligen, als er verlassen von allen Freunden einsam seinen Fluch empfing, war es zu wenig Mensch, um unbeschwert zu lieben. Er hatte eine Lektion in den letzten Jahren gelernt:

In der Liebe lagen Schmerz und Freude nahe beieinander, eine Lehre, die er heute gelernt hatte.

 

To be continued.....

 

(c) Heiko Herbert Hoelzel, 2000


Hintergrund

Da ihn das Psychologiestudium nicht komplett auslastet und Orkenangriffe sehr selten geworden sind, schreibt Heiko mitunter die eine oder andere Story in der ein oder anderen Vorlesung in dem ein oder anderen Hörsaal. Hier ist eine kleinen Kostprobe, der Beginn einer etwas längeren Geschichte, die noch nicht ganz erwachsen ist. Worum es geht? Orks, Liebe, Schmerz und den Problemen eines einsamen Vampirs in einer sich schnell verändernden Welt, wo Drachen seltener werden, Elfen im Verborgenen leben und Orks an jeder Straßenecke ihr Unwesen treiben!