Langsam und sanft schmiegte sich die Nacht über Germelen. Blauem Samt gleich hüllte sie das kleine Dorf am Rande des Tränen-Waldes ein und brachte Ruhe und Frieden über Körper und Geist der Menschen. Der Tag war vorüber, Sonne wich Mond und Arbeit wich Ruhen. Die Gassen wurden still und aus den Fenstern floss goldenes Licht. Die Menschen versammelten sich um ihre Feuer und waren sich selbst genug.

Nur ein einsamer Wanderer schritt getragenen Ganges durch die Strassen. Er wählte seine Schritte mit Bedacht und hielt den Kopf gesenkt. Die Arme umfingen eine kleine Last, die in kostbares Leder gehüllt war. Die Strassen führten ihn dem Gasthof Germelens zu, dessen Tore weit geöffnet waren, als ob er der Ankunft des Wanderers harrte. Aus den Fenstern des Hauptgebäudes drang warmes Lachen auf den Hof und vermischte sich dort mit dem beruhigenden Stampfen des Viehs in den Ställen und dem Plätschern der Tränke im Herzen des Hofes. Wie ein freundlicher See umflossen die Klänge den Wanderer. Er hob den Kopf und seine Schritte wurden langsamer als er begann, Geist und Herz zu sammeln.

Als er an der Tränke vorüberschritt, wurde ein einzelnes Gesicht hinter einem der Fenster auf ihn aufmerksam. Das Lächeln der Frau erstarb und Unglaube breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie die Gestalt erkannte. Die verwunderten Blicke ignorierend erhob sie sich und eilte zum Eingang von Germelens Gasthof. Sie huschte zu den mächtigen Türen und öffnete sie in hastiger Erregung. Als das Licht auf den Hof floss, bedeckte es den Wanderer, der seinen Gang fortsetzte und den Gasthof betrat. Er schritt durch die Tür, den Vorraum und schliesslich in die Gaststube hinein.

Nach und nach verebbten das Lachen und das Schwatzen, als die Menschen den Wanderer wahrnahmen. Es wurde still in Germelens Gaststube und die Blicke der Menschen ruhten auf ihm. Von Respekt und Ehrfurcht erfüll räumten sie dem unerwarteten Besucher einen Platz am Feuer frei. Gemächlich und mit Vorsicht setzte er sich auf die Bank am Rand des Feuers und in den Gesichtern der Menschen begann sich Freude auszubreiten. Noch lange Zeit würden sie mit Stolz in der Stimme ihren Freunden von diesem Abend berichten. Diesem Abend, als ein Barde unter ihnen weilte.

Der Barde liess seinen Umhang von den Schultern gleiten, immer einen Arm um sein Bündel gelegt. Augenblicke wurden zu Minuten, als der Barde seine Hände zärtlich über das Jabul-Leder gleiten liess, das sich weich um das Bündel schmiegte. Langsam öffnete er die Schleifen der Bänder, die in verschlungenen Mustern das kostbare Leder hielten. Als die Bänder auf seine Knie fielen, teilten sich auch langsam die Schichten des Jabul-Leders, glitten nach unten und enhüllten den staunenden Menschen die Beahria.

Sie hatte die Farbe von Ebenholz und schimmerte in einem matten, warmen Glanz. Zwölf Saiten dehnten sich strahlenförmig über ihren verschlungenen Körper. Sie war alt, sehr alt. Lange war es her, seit die Dörfer und Städte westlich des Tränen-Waldes eine Beahria mit zwölf Saiten beherbergen durften. Aber noch viel länger war es her, seit dort die Eine zu Gast war. Beahria Aleida, die Vielgeliebte.

Noch ahnungslos über das grosse Geschenk, das Die Hüterin den Menschen Germelens mit dem Besuch Beahria Aleidas gemacht hatte, freuten sie sich auf das Liebesspiel des Barden und seiner Beahria und ihre Gesichter strahlten. Ihre Gedanken kreisten um die Lieder, die alle von ihnen kannten, einige von ihnen singen konnten und nur wenige je von einem Barden und seiner Beahria gehört hatten. Laya-Dans Schwur, Tergelens Ritt oder das Lied von Gerret und Thuviel. Für alles wären sie den beiden heute abend dankbar, für alles.

Unmerklich wurde das Licht in Germelens Gaststube dunkler, goldener. Das Feuer prasselte stiller und die Körper der Menschen entspannten sich, als Barde und Beahria zueinander fanden. Der Barde senkte seinen Kopf, umfasste mit seinen Händen zart die Flanken seiner Beahria und legte sie sanft vor sich auf die Knie. Als die Beahria im Schoss des Barden lag, führte er seine Hände zärtlich zu den beiden Enden und liess sie auf seinen Handflächen ruhen. Die Jüngeren blickten fragend, als sie sahen, dass der Barde seine Hände unter den Enden der Beahria beliess. Man hatte es ihnen erzählt, aber sie hatten es nicht geglaubt: er würde sie niemals berühren, niemals streicheln, niemals liebkosen, die Saiten seiner Beahria.

Erst hörten sie es nicht, doch dann drang es langsam in ihr Bewusstsein: er sang und sie antwortete ihm. Ein Zauber durchflutete den Raum und liess ihn voll Wärme und Zuneigung überfliessen. Alles war unwichtig, alles war nichtig. Allein was zählte war die Liebe des Barden zu seiner Beahria. Diese Liebe war es, die Beahria Aleida aus ihrem Schlaf erweckte und ihre Stimme befreite. Er gab ihr sein Herz und sie reichte ihm dafür ihre Seele. Es hatte begonnen.

Nie würden die Menschen von Germelen diesen Abend vergessen. Diesen einen Abend, als Bronwen der Meister-Barde und seine geliebte Beahria Aleida sich vereinten und gemeinsam für sie sangen. Diesen einen Abend, als die Vereinigung zwischen Barde und Beahria neben Klängen auch Bilder erschuf. Bilder, die direkt in den Seelen der Menschen Germelens Gestalt annahmen. Bilder von Liebe und Hass, von Treue und Verrat. Bilder von Schlachten und Siegen, von Kriegen und Blut. Bilder von vergangenen Zeiten und ferner Zukunft. Bilder vom Lied der Welt.